Die Zapatisten rufen an die Urnen

In Mexiko läßt die Indianer-Guerilla am Sonntag in einem Referendum über ihre politische Zukunft abstimmen. Wer sich seine Kreuzchen machen will, muß zahlen  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Am Sonntag steht in Mexiko wieder ein Urnengang bevor. Zur Wahl stehen diesmal allerdings nicht Parteikandidaten oder vakante Regierungsposten, sondern sechs Fragen (siehe Kasten) zur Zukunft der Nation und des bewaffneten Zapatismus. Nicht weniger ungewöhnlich als der Inhalt ist der Auftraggeber des Plebiszits: Niemand anderes als die Generalkommandantur der Zapatistenguerilla EZLN beauftragte Anfang Juni das Bürgerbündnis Alianza Civica mit der Durchführung der „nationalen Volksbefragung für Frieden und Demokratie“.

Nicht nur politisch, sondern vor allem logistisch war das Referendum eine beachtliche Herausforderung für die größte Bürgerinitiative Mexikos, die sich schon letztes Jahr bei der Beobachtung der Präsidentschaftswahlen einen Namen gemacht hatte. Während sich die Nationale Demokratische Konvention (CND) – die vor einem Jahr ebenfalls auf Initiative der EZLN gegründet wurde – vor allem um die inhaltliche Werbung kümmerte, mußte die Alianza innerhalb weniger Wochen eine flächendeckende Infrastruktur aus dem Boden stampfen. Mit einigem Erfolg: Über 8.600 Wahltische – allein in der Hauptstadt 2.600 – werden an Plätzen und Straßenecken für die Stimmabgabe bereitstehen; rund 700 Telefonzentralen und 40 Computerzentren warten auf die Auszählung, um erste Ergebnisse schon in der Nacht zum Montag zu präsentieren. Über 40.000 Freiwillige haben sich zur Mitarbeit verpflichtet.

Viele von ihnen werden das Wochenende wohl auf dem Lande verbringen. Denn auch 1.756 Indianergemeinden, davon zwei Drittel aus dem Bundesstaat Chiapas, wo es im Januar 1994 zum Aufstand der Zapatisten kam, haben ihre Teilnahme am Plebiszit angemeldet. „Gemäß den indianischen Sitten und Gebräuchen“ wird hier nicht individuell und geheim, sondern auf einer Dorfversammlung abgestimmt. Insgesamt, so hoffen die Veranstalter, werden sich „mindestens“ zwei Millionen Menschen an der basisdemokratischen Übung beteiligen. Aber auch Mexikaner im Ausland können die zapatistischen Fragen – von denen die sechste zur Rolle der Frauen nicht im ursprünglichen Katalog vorgesehen war – beantworten.

Um die Kosten von 5 Millionen Pesos (rund 1,2 Millionen Mark) zumindest teilweise abzudecken, haben die Veranstalter sich für ein originelles Finanzierungsmodell entschieden. Die Wählenden sollen, wenn sie können, ihr Votum selbst finanzieren, mit einer „freiwilligen Spende“ von einem Peso. „Damit machen wir es genau andersrum“, sagt Professor Enrique Caldern amüsiert. „Normalerweise werden den Leuten ihre Stimmen abgekauft. Bei uns sollen sie noch dafür bezahlen.“

Bei unabhängigen Kommentatoren stößt die zapatistische Volksbefragung, für die derzeit nicht etwa gestandene Linkspolitiker, sondern vor allem bekannte KünstlerInnen werben, auf einhellige Begeisterung. Für den Publizisten Joel Ortega stellt die „kühne Initiative“ einen „weiteren Beweis des politischen Talents der EZLN“ dar, der auch in die eingefahrenen Politrituale der Linken endlich „frischen Wind“ bringen werde. Mit dem Referendeum sei es den Zapatisten gelungen, glaubt auch der Historiker Antonio Garca de Lon, aus dem „politischen, militärischen und medialen Belagerungsring“ auszubrechen und die „gesamte Gesellschaft für die Konfliktlösung zu mobilisieren“.

Selbst Regierungsunterhändler Gustavo Iruegas versprach bei einem Pressefrühstück, seine Kreuzchen zu machen. „Da kann man ja nur einverstanden sein.“ Das dürfte ein Mißverständnis sein. Denn ganz so harmlos sind vor allem die beiden Fragen nach der politischen Zukunft der EZLN – unabhängig oder im Zusammenschluß mit anderen Kräften – nicht. Dabei geht es, wie Subcomandante Marcos von der EZLN wiederholt klargestellt hat, keinesfalls um eine schlichte Legalisierung oder gar die Bildung einer politischen Partei. Vielmehr strebe man die Bildung einer Organisation an, die künftig „nicht mehr nur als moralisch-militärische, sondern auch als politische Kraft“ mit eigenem Organisationspotential agieren will.

Möglicherweise ist die Ankündigung, das Referendum sei „praktisch unsere letzte Karte vor dem Krieg und vor dem Abbruch des Dialogs mit der Regierung“, wie Marcos in einer Video-Message erklären ließ, eher als rhetorische „Drohung“ zu verstehen. Zweifellos aber sind die Ergebnisse bedeutsam für die Frage, mit welcher Rückendeckung die Zapatisten in die nächste Dialogrunde gehen, deren Beginn für den 5. September angesetzt ist. Denn mittlerweile scheint die Regierung nicht mehr nur von der militärischen, sondern auch von der politischen Schwächung der Aufständischen überzeugt zu sein. „Natürlich hat die EZLN politische Ambitionen“, räumt Gustavo Iruegas ein. „Aber genauso klar ist, daß sie weder die entsprechende Stärke noch die Repräsentativität besitzt.“