Die EU darf endlich Atomtest-Infos prüfen

■ Französische Behörden stellen Unterlagen zur Verfügung. EU-Fachleute nehmen sich viel Zeit zum Lesen. Frankreich will Europäisierung der „Force de frappe“

Brüssel (taz) – Vier französische Atombehörden haben der Europäischen Kommission endlich Informationen über die französischen Atomtests auf dem Moruroa-Atoll gegeben. Jetzt sollen die zwei Kilo schweren Papierberge von den zuständigen Ressorts durchgearbeitet und die Auswirkungen der Versuche einschätzt werden. Dann will die Kommission entscheiden, ob Frankreich die Tests in Brüssel anmelden oder genehmigen lassen muß. Nach dem Euratom-Vertrag kann die Kommission gefährliche Versuche verbieten, wenn sie Auswirkungen auf ein anderes EU-Mitgliedsland haben. Die britische Insel Pitcairn liegt rund 800 Kliometer von Moruroa entfernt.

Frankreich habe keine Zusicherung gegeben, daß die Atomversuche erst beginnen, wenn die Kommission die Informationen ausgewertet hat. „Wir haben auch nicht danach gefragt“, versicherte ein Sprecher der Europäischen Komission. Man hoffe, bis zum 4. September, wenn die 21 EU-Kommissare zur ersten Sitzung nach der Sommerpause zusammenkommen, mit der Lektüre fertig zu sein. Die Komission scheut den Konflikt mit Frankreich, weil sie eine Krise der EU befürchtet. Die Grünen im Europaparlament wollen die EU-Kommission wegen Pflichtverletzung vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen.

Für Aufsehen sorgte gestern ein Artikel in der International Herald Tribune, wonach die französische Regierung in Bonn um moralische Unterstützung gegen die Anti- Atomteststimmung bitten will. Im Gegenzug soll Frankreich bereit sein, künftig seine Atompolitik mit den EU-Partnern und besonders mit Deutschland abzusprechen. Der abrüstungspolitische Sprecher der CDU in Bonn, Friedbert Pflüger, wird nach Gesprächen mit französischen Ministern und Militärs mit den Worten zitiert: „Alle, ohne Ausnahme, haben gesagt, daß wir eine Europäisierung der französischen Abschreckungswaffen brauchen.“ Der für eine gaullistische Regierung erstaunliche Vorstoß soll wohl die Isolation aufbrechen, in die sich Paris mit den Atomtests manövriert hat. Alois Berger