Lebensenergie für 389 Mark

■ Bremer Esoterik-Kongreß: Ein Sammelsurium aus Scharlatanerie und Wissenschaft

Die Frau, die am Samstag nachmittag auf der Messe „Visionen menschlicher Zukunft“ im Kongreß-Zentrum ihre Lampen anpreist, trägt ein graues Kostüm. Wenn sie lächelt, ziehen sich die haarfeinen Risse im Make-up auf ihrer Wange in die Länge. Mit ihren rot geschminkten Lippen und den nachgezogenen Augenbrauen würde sie gut in ein Geschäft für Büroausstattung passen. Doch die grau-weißen Plastikleuchten, die aussehen wie gewöhnliche Bürolampen, „sind kostbare Energiequellen“, betont die Frau. „Sehen Sie hier“, sagt sie und deutet mit ihrer schlanken Hand auf einen porösen, grünen Stein, der die Lampe anstelle einer Glühbirne schmückt. „Dieser Stein ist voller wertvoller Mineralien, die in Ihren Körper gestrahlt werden, wenn Sie die Lampe anschalten. Ihr Energiehaushalt wird aufgefüllt. Das hilft gegen Streß, Verspannungen, Verletzungen, Ohrensausen; offene Wunden heilen und alles mögliche.“ 389 Mark soll die Lampe kosten. „Aber Sie bekommen dafür ja echte Lebensenergie“, gibt die Frau zu bedenken. Auf der Messe ist „die Energiequelle“ sogar 40 Mark billiger. Zumindest den Eintrittspreis von 35 Mark hätten die Käufer damit wieder raus.

Der Stand gegenüber lockt mit einem bunten Meer aus glitzernden Edelsteinen. „Welcher Stein hilft gegen Blasenentzündung?“ will eine Kundin wissen. Die Verkäuferin nimmt ein Büchlein zur Hand, schlägt eine Seite auf und zeigt es der Gepeinigten: „Hier, dagegen helfen viele Steine.“ Doch eigentlich reicht der Blick ins Büchlein nicht, belehrt die Broschüre des „Kristall-Heilungs-Zentrums“. 40 Mark kostet das Einführungsseminar, um zu ergründen, welche Steine einem nützen – 450 Mark sind für das Lehrseminar fällig.

Die Verkäuferin selbst trägt ein Lederband mit einem Rubin um den Hals. „Als ich vorhin las, wozu der gut ist, dachte ich, ich muß den einfach haben“, verrät sie. „Er hilft gegen Alpträume, Depression, Angstzustände, Schlaflosigkeit und verleiht Führungskraft.“ Das hat natürlich seinen Preis: 60 Mark soll ein Rubin kosten, der kaum größer ist als ein Zehn-Pfennig-Stück. Da ist ein Rutilquarz für sieben Mark schon billiger und nicht weniger verheißungsvoll: Er verspricht ein langes Leben.

Ob Blasenentzündung oder Krebs – auf der Esoterik-Messe, die von dem ehemaligen Kraftfahrer Frank Siepmann vom Forum-Verlag organisiert wird, wird den unterschiedlichsten Heilungsansätzen nachgespürt. Die ReferentInnenliste zieren namhafte Persönlichkeiten wie Erika Schuchardt, Vizepräsidentin der Deutschen UNESCO, Britta Steilmann, die Jil Sander der umweltbewußten Mode und seriöse WissenschaftlerInnen wie Prof. Dr. Annelie Keil oder Dr. Ellis E. Huber, Präsident der Berliner Ärztekammer. Die Schriftstellerin Sarah Kirsch liest neue und alte Gedichte. Die Deutsche Parkinson Vereinigung informiert über Therapie-Möglichkeiten. Der Verein für Umweltschutz gibt Tips zur sanften Schädlingsbekämpfung. Selbst Greenpeace sammelt Unterschriften gegen die geplanten Atomversuche im Pazifik. „Warum auch nicht“, sagt der Umweltschützer. „Die Leute, die hierher kommen, haben einfach mehr Zeit, als wenn sie am Samstag morgen durch die Fußgängerzone hetzen. Aber das Meiste hier ist wirklich die reinste Volksverdummung.“

Nebenan informiert der „Studienkreis für nichtuniversitäres Heilwesen“ über vermeintliche Krankheitsursachen. „Knochenkrebs treffen wir meistens bei Personen mit verhärteter Weltanschauung an.“ Denn: „Die Verkrampfung im zwischenmenschlichen Bereich“ führt „zur Verkrampfung der Skelettgenerationen“, heißt es in einer Vereins-Broschüre. Magen- und Darmkrebs tritt „gewöhnlich bei unterdrückter Eßlust“ auf. Das Problem der Patienten: „Eigentlich versagte der Verstand, der die Eßgewohnheiten hätte regeln sollen.“ Bestrahlung und Operation bekämpfen nur die Symptome. „Sie müssen Ihre Aura harmonisieren“, rät der Mann am Stand. „Durch die Harmonisierung der Aura ändert sich die Farbe und das Element, und Sie werden gesund.“

„Immer optimistisch bleiben“, ist dagegen die Devise von Hans Krummrey und seiner Frau Margit, den Gründern des Optimisten-Clubs. Auf die Idee kam das Ehepaar vor mehr als 20 Jahren, als ihr Bauunternehmen Pleite ging. Heute verdient sich das Paar seinen Lebensunterhalt mit Seminaren zur „positiven Lebensgestaltung“ und Persönlichkeitsanalysen per Computer. „Name und Geburtsdatum reichen“, verspricht Krummrey. „Für 15 Mark bekommen Sie eine kleine Namensanalyse. Sie werden staunen. Da steht nämlich alles über Sie drin.“

Fast eine halbe Stunde Wartezeit müssen die Interessenten allerdings einkalkulieren – die Schlange vor dem Computer ist lang. Zeit genug, um „gesundmachende Entspannungsmusik“ zu hören. „Diese Musik heilt Wunden“, verspricht der Mann am Stand. „Jede einzelne Zelle Ihres Körpers wird mit Energie aufgeladen.“ „Sagen Sie mir ihren Namen und Beruf. Ich sage Ihnen, welche Musik Ihnen gefällt und hilft.“ Meeresrauschen und „Mona Lisa mit Harfe“ sucht der Mann aus. Sphärische Klänge, gemischt mit Vogelgezwitscher – für 39 Mark pro CD. „Sie können dann auch an Ihre Bekannten verkaufen. Dann kriegen Sie Rabatt. Persönlich bringt Sie die Musik ganz bestimmt weiter. Und dann gebe ich noch einen aus.“

Endlich wird das Geheimnis der Namensanalyse gelüftet: „Im Universum hat alles eine Schwingung, die sich durch eine bestimmt Zahl erfassen läßt.“ Besonders verräterisch ist die Seelenzahl sechs: „In Ihrem Innersten streben Sie nach Ausgleich und Übereinstimmung mit Ihrer Umgebung.“ Wer will das nicht? „Mitunter wird Ihr Tun zu besseren Ergebnissen führen, wenn Sie die gegebene Situation in Ruhe analysieren“, rät die „kabbalistische“ Namensanalyse nach Krummrey. Und: „Obwohl Ihnen im Laufe Ihres Lebens bereits vielfältige Einsichten zugänglich wurden, entspricht es Ihrer Veranlagung, daß Sie über den vorhandenen Erkenntnisstand hinausgehen wollen“, lobt die Analyse auf der vorletzten Seite. Beim Umblättern findet sich die Lösung für diesen Wissensdurst: Ein Bestellschein für weitere Analysen. Ein Pychogramm kostet 99 Mark. Für den gleichen Preis ist auch ein Cosmogramm inklusive Karma-Horoskop und Flirt- sowie Erotikhoroskop zu haben. Für eine Partneranalyse per Computer kassiert der Optimist 40 Mark.

Überhaupt ist der Computer bei den Esoterikern groß im Kommen. „Setzen Sie sich ruhig“, sagt ein Mann im weißen Hemd freundlich und deutet auf den Stuhl vor seinem Computer. Auf dem Bildschirm ist ein gelbes Ohr mit unzähligen Punkten abgebildet. „Ich stecke Ihnen gleich diesen Stift ins Ohr, und dann untersuchen wir mal Ihr Herz. Wenn es auf dem Bildschirm grün aufleuchtet, ist alles in Ordnung. Wenn die Eins blinkt, gibt es leichte Veränderungen, bei der Zwei sind die Veränderungen etwas schwerer. Wenn die Drei aufleuchtet, müssen wir den Rettungswagen holen“, scherzt er. Behutsam steckt der Mann den Stift ins Ohr und sucht den „Reflexpunkt“. Eine Weile stochert er in der Ohrmuschel herum. „Hmm“, sagt er schließlich und zieht den Stab mit der Elektrode wieder raus. „Ihr Herz ist in Ordnung. Ich kann den Reflexpunkt nicht finden. Das heißt, der Punkt hat keinen Anlaß zu strahlen. Sie sind kerngesund.“

kes