Durch die Brust ins Auge

■ Wenn Kant und Hegel das deutsche Wohnzimmer überfallen: Neue Aktionsbilder von Anna & Bernhard Johannes Blume in der Bremer Kunsthalle und heute in der taz

Unser aller herzallerliebstes mitteldeutsches, mittelaltes und mittelkatholisches Künstlerehepaar tritt wieder in Aktion. Die Blumes sind aus dem Wald, dem Ort ihrer letzten Fotoaktionen, ins traute Heim zurückgekehrt. Daß es auch dort nicht besonders beschaulich zugeht, ahnten wir allerdings schon. Schließlich haben Anna & Bernhard Blume die Gefahren des deutschen Haushalts für Leib und Leben bereits in ihren „Vasenextasen“ beschworen. Jetzt aber kommt es noch dicker. Nicht fliegende (deutsche?) Kartoffeln, nicht Mutters Porzellan oder Opas Sofa teufeln heuer auf die Blumes ein – diesmal sind es die massiven Gebilde der deutschen Philosophie und Kunsttheorie. Wie das aussieht, wenn z.B. Kants Kanten und Hegels Kegel übers deutsche Wahnzimmer hereinbrechen, das haben die listigen Blumes, wie immer, ganz genau mit ihrer Fotokamera festgehalten. Diese staunenswerten Dokumente deutscher Dämonie zeigt die Bremer Kunsthalle seit gestern unter dem flotten Titel „Transzendentaler Konstruktivismus“.

Die verlebendigten Theoriegebilde verhalten sich nun erstaunlicherweise ganz ähnlich wie Kartoffeln oder Vasen. Sie sprengen Zeit, Raum und Bildrahmen, sie verhöhnen die Gesetze der Schwerkraft und schwirren selbstgerecht umher, vor allem aber: Sie verfolgen unbarmherzig die beiden Blumes, jene Idealgesamtkleinbürger in uns allen. Die eckigen und auch sonst unschönen Konstrukte reiner Vernuft schlagen aus nach allen Seiten. Sie knuffen und quetschen die Blumes, sie penetrieren die Blumes (einmal wird Anna leibhaftig durchbohrt), sie verschmelzen gar mit den Blumes.

Das aber sind jene Momente handfester künstlerischer Auseinandersetzung, für die man den Blumes nicht genug danken kann. Denn wo Blume und Kant verschmelzen, da kommen die vermeintlich unversöhnlichsten Gegenspieler aufs schönste und anschaulichste zusammen: das Geistige in der Kunst und das Leibliche im Leben, reine Vernunft und blanker Unsinn, Schein und Sein, Dings und Bums. Nicht, um sich zu vermählen, aber immerhin, um Kontakt miteinander aufzunehmen – wenngleich auf etwas ungestüme Art.

Die „gegenstandlose Empfindung“ (Malewitsch) – hier wird sie gegenständlich, und bleibt doch äußerst empfindsam.

Wie albern es ja doch aussieht, wenn diese Konstrukte der Kunstphilosophie wirklich entkörperlicht, als flache Worthülsen oder auch Dogmen auf bedrucktem Papier herumdräuen, das zeigt uns Anna Blume in einer weiteren Abteilung der Bremer Schau. Hier sind die starken Sprüche aus berufenem Männermund (vgl. „Metaphysik ist Männersache“, A. & B.J. Blume) noch einmal genau aufgeschrieben. Den großen Worten aber stellt Blume kleine Bilder gegenüber: Bilder von Damenleibern, von Anna Blume in bemalte T-Shirts gewandet. Motive: jene Quadrate, Schachteln und Streben, mit denen die Konstruktivisten ihre klugen Gedanken versinnbildlichten. Neben Malewitschs Sprüchen prangt hier eine Dame im dekorativen Malewitsch-Look – seit der L'Oreal-Hairstyling-Werbung weiß man ja, wie kleidsam z.B. Mondrian-Motive auf frischen, jungen Körpern wirken können. Ganz so adrett ist die Sache hier allerdings nicht geraten. Durch die einstmals so penibel konstruierten Kunstgebilde drücken sich nun Bäuche und Brüste durch. Und die reinen Vernunftquadrate wirken dabei plötzlich reichlich zerknautscht. Ja, man könnte behaupten: Die reine Vernunft ist eben nicht tragbar.

Anna Blume will, „daß die Fläche wegrutscht und der Körper wieder zum Vorschein kommt.“ Bitte, das ist der Dame gelungen! Recht hat aber auch jener Herr, der im Katalog zur Ausstellung bemerkt, daß, im Grunde genommen, die Quadrate auf den T-Shirts ja nur zerknautscht wirken, aber in Wahrheit ja doch heil und ganz bleiben. So kommt die Theorie dann doch noch mit einem blauen Auge davon. Das geht auch in Ordnung so. Denn so können die Blumes noch weiterhin ein bißchen darauf herumreiten.

Thomas Wolff

Anna & Bernhard Johannes Blume: „Transzentendaler Konstruktivismus“, bis 1. Oktober in der Kunsthalle (Am Wall 208)