Sanssouci: Nachschlag
■ „Mirandolina“: Bratwursttheater im Schokoladen
Biergarten und Gasthof haben eines gemeinsam: hier wie dort treffen Leute aufeinander, die anderswo nie und nimmer miteinander in Kontakt kämen. An den langen Tischen, vor den großen Humpen fallen die Klassenschranken. Insofern stimmt der Ort, wohin die Crew des Theaters im Schokoladen seine Goldoni-Komödie umsiedelt. Nicht im florentinischen Gasthaus wird Wirtin Mirandolina von diversen Anbetern umworben, sondern open air im Hof. Den Hintergrund bildet der erhöhte, mit einer Styroporsteinwand verkleidete Ausschank, an dem sich auch das Publikum vor und nach der Vorstellung seine Maß holen kann. Davor ein paar Bierbänke. Über allem, auf dem Remisendach, thront eine Frauenskulptur, die an eine stolze revolutionäre Volksheldin erinnert. Ein Abbild Mirandolinas könnte das sein, die der ganzen um sie herumgockelnden Männerwelt cool ein Selbstverwirklichungsschnippchen schlägt.
Doch hochgestochene Interpretationsfragen sollte man bei diesem Bratwursttheater lieber nicht stellen, Matthias Merkle und seinen Schauspielern geht es allein ums Amüsemang. Goldonis Komödie ist für Schmiere ein durchaus geeignetes Objekt. Rabiat zusammengestrichen, mit abgespecktem Personal und auf einen Schauplatz konzentriert, regieren in dieser Version des barocken Standes- und Geschlechterkampfes Pomade und Slapstick. Ein verarmter Marquis und ein neureicher Graf buhlen um die Gunst von Frau Wirtin, die sich allerdings in den Kopf gesetzt hat, einen ritterlichen Logiergast in sich verliebt zu machen, der von den Frauen rein gar nichts hält. Zwei kurzfristig zu adligen Damen mutierte Komödiantinnen würzen den erotischen Reigen noch zusätzlich. Genügend Stoff für Chargen der knalligen Sorte also. Das kosten die Schauspieler genüßlich aus, zur Freude des Publikums. Bloß Andrea Leonetti versucht, ihrer Mirandolina ein Quentchen Psychologie einzuhauchen, was diese Figur zu einer recht unsinnlichen Kratzbürste macht. Goldoni übersteht die hübsch garnierte Reduzierung auf den puren Plot. Aber mehr als Kurzweil und spätsommerliche Schenkelklopferei kommt dabei nicht heraus. Noch 'n Bier! Gerd Hartmann
Bis 10.9., Fr.-So., 21 Uhr, Schokoladen, Ackerstraße 169/170
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