Scampi, Shrimps etc.
: Am Ende bist du doch immer im falschen Zelt

■ Schützenfest-Atmosphäre für gesellschaftliche Aufsteiger – Anmerkungen zur sozialen Bedeutung der VIP-Lounge

Bei der Hübschen in rotem Kostüm und ihrem unbeweglichen Schminke-Lächeln ist Schluß. Ohne Einladung, macht sie unmißverständlich klar, geht gar nichts. Ihr anziehendes Äußeres ist kalkulierte Täuschung, sie erweist sich umgehend als Bollwerk eines unerbittlichen Einlaßsystems, Ort und Anlaß sind völlig beliebig. Als ich fragend auf meinen Presseausweis deute, der einen zum Eintritt berechtigenden in Folie eingeschweißten roten Punkt aufweist, schickt sie mich freundlich an den Stand nebenan. Dort gibt's das Tagesbändchen in Grün. Eine andere Schöne in rotem Kostüm zurrt es so fest, daß ich es garantiert nicht vom Handgelenk abstreifen kann.

Ich kenne das System vom Roskilde-Festival in Dänemark, wo Hippie-Traditionalisten die jährlich wechselnden Farben der Bändchen wie tätowierte Trophäen am Arm tragen. Jedes Jahr kommt ein neues hinzu. So weit gehen VIPs nicht. Beim profanen Hineinschummeln erwischt zu werden, wäre ohnehin zu peinlich. Wer auf sich hält, gibt vor, die Eintrittsberechtigung verloren zu haben und erbittet eine neue. So stellt man Gesellschaftsfähigkeit auf die Probe und kann die freigewordenen Karten generös an Dritte weitergeben.

Das VIP-Zelt ist eine mobile Einrichtung der Event-Kultur, heute hier, morgen nicht mehr da. Auf Brettern bedeutet man der Welt, daß man, St. Moritz hin, Bayreuth her, die Austern durchaus im Stehen zu schlürfen bereit ist, wenn nur Boris spielt, ein Künstler Blut und Farbe mischt oder die Stones es mit Golf und Polo machen. Der gesellschaftliche Schick hat sich nomadisiert. Nirgends ist man mehr davor sicher, daß sich der Pöbel die Zeichen von Stil und Klasse unter den Nagel reißt. Beim Polo soll man jüngst schon alkoholisiertes Grölen gehört haben. Da zittern die VIPs im Rhythmus des Bretterbodens.

Die Zelte des Luxus lassen sich mühelos abbrechen. Die Karawane zieht weiter. Die Lust aufs Provisorium ist Furcht vor Nachahmern minderer Güte. Je nach Anlaß leuchtet die Auslegeware zum urbanen Großereignis für Eingeweihte salbungsvoll rot oder naturverbunden grün. Einen wie mich, der auf dem Lande aufgewachsen ist, erinnert das schwer ans dörfliche Schützenfest, wo der Schwingboden müde knarrte, wenn frühmorgens die Betrunkenen mit ausgefegt wurden. Als VIP fühlte sich hier allenfalls der Bürgermeister, der ein Malergeschäft am Ort hatte, und es mit undurchsichtigen Immobiliengeschäften, wie es hieß, zu ansehnlichem Reichtum gebracht hatte. Der Oppositionsführer war übrigens Lehrer. VIP wäre dieser heimatkundlichen Herleitung zufolge ein Strategiebegriff von Parvenüs, sich weitere Nachrücker vom Leib zu halten.

„Bekomme ich bei Ihnen zwei Programmhefte?“ fragt der bekannte Schauspieler W. eine der Kostümschönen, aber die ist nur für die farbigen Bändchen zuständig. „Miese Organisation“, brummt der Serienstar. Normalmenschen kaufen ihr Programmheft draußen vor der VIP-Zone für vier Mark das Stück, aber einem wie W. mangelt's immer am Kleingeld. „Ich hätte gern ein T- Shirt in Größe XXL“, bittet ein Rundfunkreporter, dessen Namen man kennt, weil er ihn sichtbar auf einem Ausweis am Halsband trägt. Er setzt den öffentlich- rechtlichen Beschwerdeblick auf, als man ihm bedeutet, daß er die Textilie mit Werbeaufdruck nur käuflich im Devotionalienhandel erwerben kann. „So gelangt ihr nie zu Format“, grummelt er noch. Die Journalisten seien die schlimmsten, meint eine der Hostessen, die ich nach den schönsten Erlebnissen ihres Jobs befrage. Die wissen immer ganz genau, wie professionelle Organisation zu laufen hat.

„Provinzveranstaltung!“ habe sie ein freier Mitarbeiter einer Gelsenkirchener Zeitung angefaucht, dem sie mangels ausreichender Legitimation den roten Kastenpunkt verwehrt hatte. Das System der Punktvergabe, gesteht die Hosteß, begreife sie freilich selbst nicht genau, es wechsle stündlich. Für Journalisten, die eine Akkreditierung ergattert haben, beginnt der Kampf ums Dazugehören jetzt erst. Ans Buffet zu gelangen, bedeutet eine Art Aufbesserung des Zeilengelds. Hundeelend müssen sich Kollegen fühlen, wenn sie spüren: Wir müssen leider draußen bleiben.

Rund 700 Leute tummeln sich in der von Hostessen und Ordnern strengbewachten weißen Zeltzone, wo in Sichtweite irgendwas Sportliches gegeben wird. Der Bürgermeister im Wahlkampf ist auch angemeldet. Die meisten aber sind Geschäftspartner von Sponsoren des Veranstalters, die müssen rein. Ehrengäste wie Schauspieler W. sind obligatorisch, damit die Sponsoren nachher erzählen können, wer alles da war. Zum festen Stamm gehören die Journalisten, weiß Gott, für wen die alle schreiben. „Besonders wichtig ist die Celebrity- Press“, verrät der Event-Manager, der noch ein paar Vokabeln wie Catering für gehobene Ansprüche nachlegt. Fernsehleute, die schon seit Jahren keinen Beitrag mehr über das betreffende Ereignis produziert haben, meint der feste Freie H., tauchen bei solchen Anlässen samt Gattin auf und halten im kleinen Kreis Vorträge über das Ereignis und seine Darstellung in den Medien. „Ganz ausgezeichnet, diese Kanapees, Herr Kollege.“

Knapp 70 Gäste, meint das Event-Management, zahlen für VIP-Karten den Tageskurs von 150 Mark, ohne Tischreservierung versteht sich, Champagner mit Aufpreis. Ein sportinteressiertes Feinschmeckerklubmitglied, Inhaber einer Wochenendkarte, zog es am dritten Veranstaltungstag vor, sich einen gewöhnlichen Platz auf der Tribüne zu suchen. Immer nur Scampis, das habe ihm Sodbrennen verursacht, und für die Rennen interessiere sich dort sowieso niemand.

Bei derlei Festen und Spektakeln feiert sich die Gesellschaft selbst und vergewissert sich ihrer sozialen Standards. Wo Zonen errichtet werden, erhält man vor allem Auskunft über die Unsicherheit der erreichten sozialen Positionen. Ein paar Schritte weiter sind da die Großmeister des Popspektakels. Zu ihrer laufenden Tournee errichteten die Rolling Stones gleich drei VIP-Bereiche, die in ihrer Wertigkeit nicht auseinanderzuhalten waren. In welchem Zelt man sein Mineralwasser auch gerade trank, man hockte immer im falschen. Harry Nutt