„Habenichtse darf man nicht an die Macht lassen“

■ Professor Fjodorow über Steuern, Tschetschenien und seine Form des Volkskapitalismus

taz: Herr Fjodorow, Sie haben als Wissenschaftler und Unternehmer denkbar größten Erfolg. Warum müssen Sie auch noch in die Politik gehen?

Swjatoslaw Fjodorow: Weil ich mich für das verantwortlich fühle, was meine Patienten als erstes erblicken, wenn ich ihnen das Augenlicht zurückgegeben habe. Wir machen die Leute hier wieder so weit fit, daß sie diesem heruntergekommenen Staat weiterhin die Kastanien aus dem Feuer holen können. Mich kränkt die Diskrepanz zwischen dem Lebensstandard der Russen einerseits und ihrem Intellekt und ihren Fähigkeiten andererseits. Warum soll ein Arzt in einem unserer staatlichen Krankenhäuser, der nicht schlechter, ja vielleicht sogar besser ist als sein amerikanischer Kollege, ein Monatsgehalt von umgerechnet vierzig Dollar bekommen? Das ist doch nicht normal!

Wer trägt hierfür die Verantwortung?

Wir leben jetzt in einem Nomenklatura-Kapitalismus, in dem die Beamten reich werden, weil sie mir mein Eigentum stehlen. Sie verkaufen mein Erdöl und holzen meine Wälder ab, ohne mir irgend etwas davon zu sagen. Erst log man uns vor, daß dieses Eigentum dem Volk gehöre, und jetzt ist es plötzlich privat geworden. Aber warum habe ich davon nichts abbekommen? Warum habe ich keine Kopeke für ebendieses Erdöl bekommen und für all die Rohstoffe, die jetzt in großen Mengen verschachert werden? Warum nimmt der Staat von uns hier Geld für dieses Gebäude, das ich ihm schon x-mal in Form von Steuern abbezahlt habe? Der durchschnittliche Bauer in Rußland hat heute nichts davon, wenn er besser arbeitet. Der Staat läßt ihm so oder so nur das Nötigste. Wir haben jetzt über vierzig verschiedene Arten von Steuern. Man kann sie sich unmöglich alle merken. Das alles ist derart niederträchtig, daß man fast den Eindruck gewinnt, es stecke Absicht dahinter – entweder der Wille des Teufels oder irgendwelche ausländischen Auftraggeber, denen daran gelegen ist, dieses Land endgültig zum reinen Rohstofflieferanten zu machen.

Glauben Sie das im Ernst?

Mich wundert es,wenn Clinton und Kohl immer wieder davon reden, daß sie hier bei uns die Demokratie unterstützen. Sie können doch unmöglich so naiv sein. Demokratie ist einigermaßen möglich in einem Land, wo die Mehrheit der Menschen wirtschaftlich unabhängig vom Staat ist. Die siebzig Prozent halbkrimineller Abgeordneter, die bei uns in den Parlamenten sitzen, beweisen, wie vernünftig doch das Zensus-System der alten Griechen war. Eigentlich darf man Habenichtse wirklich nicht an die Macht lassen. Die wirtschaftliche Selbständigkeit ist die Grundlage jeglicher Souveränität.

Wie hätten Sie vor diesem Hintergrund das tschetschenische Problem gelöst?

Ich hätte mich aus diesem Gebiet zurückgezogen, hätte die Grenzen hermetisch dicht gemacht, allerdings vorher allen RussInnen aus der dortigen Bevölkerung die Möglichkeit zur Ausreise gegeben. Na und dann hätten sie dort nach ihrer eigenen Fasson selig werden können. Aber sie zu töten, das ist doch Blödsinn. Als könnte man das Denken eines Menschen mit Hilfe von Kugeln verändern.

Was wären Ihre ersten Maßnahmen als Präsident?

Alle Gebäude und Grundstücke, die sich die Leute schon in Jahrzehnten eigener Arbeit verdient haben, sollen in das Eigentum derer übergehen, die dort arbeiten. Dann würde ich auf fünf bis sechs Jahre Einkommens- und Gewerbesteuer streichen, damit sich die Unternehmen erholen können. Roosevelt hat seine Präsidentschaft nicht zufällig mit dem „national act of industrial recovery“ begonnen. Wo keine Industrie ist, da ist heutzutage auch kein Land. Wozu brauchen wir Steuern? Wir könnten Zweidrittel von unseren zwanzig Millionen Bürokraten entlassen. Unter der Erde befinden sich bei uns heute 30 Billionen Dollar in Form von Erdöl, Erdgas und Edelmetallen. Unser Staatshaushalt beträgt 38 Milliarden Dollar im Jahr. Da können Sie leicht ausrechnen, wie viele Staatshaushalte bei uns noch in der Tundra liegen.

Die Eigentümer der Bodenschätze, die großen Gesellschaften, würden sich gegen diese Pläne jedoch sicher wehren.

Man muß sie nur fragen, woher sie das Geld für ihre Aktien hatten. Wenn sie mir beweisen können, daß sie es ehrlich von ihrer Großmutter geerbt haben, dann okay. Aber wenn sie es gestohlen haben, dann muß man sie enteignen.

Und wie?

Wenn sie das Geld nicht selbst herausrücken, dann eben mit der Staatsanwaltschaft.

Glauben Sie wirklich, daß Ihre Erfahrung als Wissenschaftler für die Politik ausreicht?

Ich habe auch politische Erfahrung. Zum Beispiel war ich von 1989 bis 1991 Deputierter im Obersten Sowjet der UdSSR. Und wenn ich viertausend Leute nach dem Prinzip der Beteiligung am Ertrag beschäftigen kann, dann läßt sich dieses Modell doch vervielfältigen. Schon heute vervielfältige ich meine Technik, dann müßte das mit dem sozialen Modell doch auch gehen!

Wo sehen Sie Ihre Achillesferse im Wahlkampf?

Ich bin zum drittenmal verheiratet, und tatsächlich könnte man mich wegen meiner zwei Scheidungen in diesem Lande als Schürzenjäger abstempeln. Außerdem besteht die Gefahr, wenn ich denn wirklich Präsident würde, daß aus allen Ecken Rußlands Kinder angerannt kämen und schrieen: „Hallo Papi, hier bin ich.“

Rechnen Sie sich trotzdem Chancen bei den Präsidentschaftswahlen aus?

Unsere Klinik hat in der Zeit ihres Bestehens zweieinhalb Millionen Bürger unseres Landes operiert. Ich hoffe doch, daß ich sie und ihre Verwandten zu meinen Wählern zählen kann. Außerdem: die Zeit der Plappermäuler, die viel versprechen, ist vorbei. Interview: Barbara Kerneck