Immer nur Opfer linker Arschficker

Eine Mailänder Skinhead-Gruppe entpuppt sich als Clique von Wohlstandssprößlingen, die nicht „Nazis“ genannt werden wollen. „Marco der Henker“ fühlt sich von Linken verfolgt  ■ Aus Mailand Werner Raith

Dreimal platzt die Verabredung mit „Marco il boiardo“, Marco dem Henker – der Chef der „Reds for Polish“ habe keine Lust, mit einem Journalistenschwein zu palavern, läßt seine rechte Hand wissen, Carlo, genannt „Magno“, der Große: „Am Ende schreibt ihr sowieso jeden Mist zusammen, der euch einfällt.“ Das Argument, daß derlei vor allem dann passiert, wenn einem die Betroffenen keinen echten Einblick gewähren, überzeugt dann, nach mehreren Anfragen, den Großen Carlo und, einige Tage später, wohl auch den „Henker“; jedenfalls kommt überraschend ein Anruf, per Handy natürlich, daß man „ja mal sehen könne“.

Der Treffpunkt liegt hinter dem Bahnhof Porta Vittoria, nach dem Schlachthof an der Viale Molise. Den meinerseits vorgeschlagenen Park am Largo Marinai d'Italia, direkt vor dem Bahnhofsgebäude, wollte Marco nicht akzeptieren – „könnte dir so passen, dann bringste einen mit, der uns abfotografiert, und schon kassieren uns die Bullen“.

Ob die Sorge berechtigt ist, läßt sich schwer sagen: Mitte Juli hat die Polizei tatsächlich vier junge Männer aus dem Skinhead-Milieu unter dem Verdacht festgenommen, jene Schläger zu sein, die acht Wochen zuvor zwei Aidskranke im Park überfallen und verprügelt hatten; der eine war daran gestorben. „Ich kann dir jeden Eid der Welt drauf leisten, daß die das nicht waren“, sagt Carlo, als wir, eskortiert von drei Mann, um den Bahnhof Richtung Schlachthof marschieren.

Marco il boiardo sitzt malerisch auf seiner Harley Davidson, von der mir Carlo vorher ausdrücklich erklärt hatte, die sei „mit ehrlichem Schweiß und ehrlicher Arbeit verdient“ worden. Marco war einige Zeit Rausschmeißer in einer Wiener Bar und hatte sich da allerhand Geld verdient; der Einwand, daß er für ein solches Motorrad aber auch bei guter Bezahlung ein Jahrzehnt hätte schuften müssen, gilt nicht: „Marco weiß auch, wie man Geld anlegt.“ Möglicherweise ja: Einige halbbekleidete Mädchen diverser Hautfarben sitzen in respektvollem Abstand an der Mauer des Schlachthofs und werden kurz danach von einem Kleinbus „zur Arbeit“ gefahren.

Marco legt sein rechtes Bein über die Fahrgabel. „Also du willst wissen, warum wir nicht Naziskins heißen wollen und warum ihr alle, du und alle anderen Arschficker von Reportern, uns verleumdet“ – er sagt tatsächlich verleumdet, wie ein Rechtsanwalt, der einen Tatbestand definiert. Mein Erstaunen scheint er sofort bemerkt zu haben: „Du hast recht gehört: ver-leum- det. Ihr wollt gar nicht wissen, was wir tun und warum wir es tun. Für euch kommen wir in eine Schublade, und die heißt Banditen, Mörder und vor allem Faschisten. Und damit hat sich's. Arschficker allesamt.“ Die Fäkalsprache steht immer wieder, die ganze Unterhaltung durch, in einem merkwürdigen Gegensatz zur ausgesprochenen Vielfalt seiner Ausdrücke, die oft mit juristischen, mitunter auch philosophischen Fachtermini durchsetzt sind.

Für Marco sieht die Realität so aus: „Seit unsere Politiker und unsere Shitbullen ihre traditionellen Gegner verloren haben, erst die Terroristen, dann die Kommunisten, suchen sie sich neue Randgruppen, bei denen sie ihre Wichtigkeit beweisen können. Das sollen mal Mafiosi und Gangster, Camorristen oder Drogendealer sein, mal auch kleine extreme Politgruppen. Oder aber eben wir: Wir kleiden uns anders, und wenn uns was nicht paßt, sagen wir das laut. So haben sie leichte Arbeit. Sie erkennen uns an unserer Art, und dann reicht's, wenn irgendein Arschloch Zoff macht, und schon sind alle kriminalisiert, die sich so kleiden. Sieh mal, bei euch heißen Typen wie wir korrekt Skinheads, das bezieht sich aufs Aussehen. Hier in Italien nennen sie uns Naziskins: Damit kommen wir automatisch in die Schublade ,politische Outlaws‘, und zweitens tun sie mit dem ,Nazi‘ so, als wären wir ein ausländischer Import, denn in Italien gibt's zwar viele Faschisten, aber als Nazi will sich keiner bezeichnen lassen.“ Er schüttelt den Kopf. „Dabei sind wir nicht einmal politisch, keiner ist gezwungen, eine Partei zu wählen, da sitzen ja sowieso nur Schlappschwänze drin. Politisch sind wir nur in dem Sinn, daß uns die Politiker und besonders die linken Säue verfolgen, wenn sie sich profilieren wollen.“

Und die Randale und die rechtsradikalen Parolen? „Alles provoziert“, sagt Marco, „kaum treten wir wo auf, kommt ja immer irgendein Spießer und wünscht uns Zwangsarbeit an den Hals – als ob wir nicht arbeiten würden, hey, oder, Jungs?“ Großes Gelächter ringsum. „Und dann rutscht unsereinem halt mal, ehrlich wie wir sind, die Hand aus.“

Er bemerkt mein skeptisches Gesicht, hebt die Augenbrauen, setzt sich wieder auf sein Motorrad, wirft einen Blick auf die Rolex am Arm und überlegt. „Steig auf“, sagt er dann und bietet mir den Hintersitz an, „ich zeig dir was.“ Offen kneifen oder sich herausreden? Übelsein vortäuschen? Ich optiere fürs Kneifen: „Mein Leben lang bin ich auf keine solche Karre aufgestiegen...“ „Karre?“ Nun scheint die Deadline doch erreicht. „Karre? Weißt du überhaupt, wer die Harley berühmt gemacht hat, hey? Peter Fonda, der doch euren Kultfilm schlechthin gedreht hat, Easy Rider. Karre, du hast se wohl nicht mehr alle.“ Es hilft nichts, ich muß da rauf.

Meine Befürchtung, er werde mir nun einen Hundertachtzig- Stundenkilometer-Trip durch Mailand aufdrücken, erweist sich jedoch als verfehlt. Er fährt solide, bremst bei Rot rechtzeitig ab und biegt auch eher betulich um die Kurven. Dennoch geht es kreuz und quer durch Mailand, dann hinaus irgendwo in die Heide, und dann stehen wir vor einem der von der Stadt eingerichteten „Campi per i nomadi“, Lagerplätze für sogenannte Nichtseßhafte. Schon beim Näherkommen sehe ich höchste Bewegung, Frauen, die ihre Kinder in die Wohnwagen oder Zelte verfrachten, Männer, die mit selbstgemachten Baseballschlägern am Eingang stehen. Marco fährt unbeirrt hin, hält dann abrupt vor den Männern. Die mustern uns mit finsterer Miene: „Das ist ein Freund“, sagt Marco, und die Männer entspannen sich. Offenbar hatten sie mehr Angst vor mir als Unbekanntem als vor dem Skinhead und dem nachkommenden Motorrad-Pulk. „Das sind lauter Freunde“, sagt Marco nun zu mir mit etwas überlauter Stimme, „oder etwa nicht?“ Die Männer nicken, doch so ganz überzeugend ist das nicht. Jedenfalls wird Marco höchst ärgerlich, als ich bitte, alleine mit einigen der Lagerbewohner sprechen zu können. Doch er stimmt zu. „Nein, der ist kein schlechter Kerl“, sagt Mirko, ein Sinti, der schon vor zehn Jahren aus Bulgarien gekommen ist. „Einmal hat er sogar eine Gruppe von Naziskins vertrieben, die uns Molotowcocktails hereingeworfen haben.“ Seine Frau behauptet, sogar jeden Abend für Marco zu beten. Weniger überzeugt Zoltan, 65 Jahre alt, ein ehemaliger ungarischer Bänkelsänger: „Der ist nur freundlich, solange er der unumschränkte Platzhirsch ist. Frag mal am Camp am Fernstraßenring Süd nach, da erzählen sie ganz andere Dinge.“

Die Probe aufs Exempel klappt vorzüglich. Als ich während der Fahrt zurück frage, ob wir nicht mal schnell einen Abstecher zum Camp Süd machen könnten, weil ich da jemanden kenne, legt Marco so unvermittelt zu, daß ich kaum mit dem Festhalten mitkomme. „Keine Zeit, ein andermal!“ ruft er zurück, „ich hab' eine Verabredung mit den Punks vom Bahnhof Garibaldi.“ Am Schlachthof angekommen, setzt er mich plötzlich ab und verschwindet. Vage Neuvereinbarung: übermorgen, irgendwann am Nachmittag.

Der Nachmittag vergeht, keiner läßt sich blicken.

Das gibt mir Gelegenheit, doch noch im anderen Camp vorbeizuschauen – und prompt erhalte ich da ziemlich gegenteilige Auskünfte zu denen vom Vortag. „Richtig, er hat schon mal die einen oder anderen beschützt“, sagt Gero, ein bosnischer Gymnasiallehrer, der seit drei Jahren hier lebt, „aber das tut er nicht unseretwillen, sondern um zu zeigen, wer Herr im Hause ist. Hier bei uns verläuft so eine Art Grenze zwischen den Skins aus dem Westen Mailands und denen aus dem Süden, und der ,Henker‘ schlägt jedesmal alles kurz und klein, wenn wir mit den anderen auch nur ein freundliches Wort wechseln.“

Gero hat die Gruppe offenbar regelrecht studiert: „Marco stammt aus einem Anwaltshaus, der Vater ist so etwas wie ein Starverteidiger in Strafprozessen. Der Junge hat übrigens studiert und sogar das Diplom in Politologie an der katholischen Universität Bocconi geschafft. Darum ist er auch der King unter diesen Skins. Aber laß dich nicht blenden. Er heißt nicht umsonst der Henker. In Wien soll er aufdringliche Barkunden mit einem Seil um den Hals hochgehoben und an die Luft befördert haben; jedenfalls hat er schon zweimal wegen schwerer Körperverletzung gesessen.“

Auch Marcos Freund Carlo ist in der Gruppe angesehen: „Er ist sogar adelig, entfernt mit einem Fürstenhaus verwandt, damit kokettiert er auch. Manchmal behauptet er auch, von den fränkischen Königen abzustammen – daher der Name ,Carlo Magno‘.“ Überhaupt, die ganze Gruppe besteht vor allem aus Sprößlingen gutsituierter Familien. Einig sind sie sich alle in dem einen Ziel, das „sich auch in ihrem Namen ,Reds for Polish‘ widerspiegelt. Genau wie jene Burschen, die den Aidskranken totgeprügelt haben, wollen sie Mailand von ,unwerten Bewohnern‘ säubern.“

Tags darauf kommt wieder Kontakt zu Marco zustande, am frühen Abend treffen wir uns vor dem Theater an der Scala. Alle aus der Gruppe sind da, aber ohne Motorräder; die meisten sitzen am Rinnstein, Coca-Cola- und Sprite- Dosen liegen herum, aber keine Bierflasche. „Heute keinen Alkohol“, sagt Marco, „wir haben was vor.“ Dabei schlägt er mit einer schweren Metallkette gegen die linke Hand. „Aber da hältst du dich am besten raus.“

Tatsächlich ist er heute wie ausgewechselt. Die Lippen zusammengekniffen, mit fahrigen Bewegungen, ständig die Hand an der Hosentasche, wie um zu prüfen, ob er auch alles mitgebracht hat, was er braucht. Doch dann kommt alles blitzschnell ganz anders: Ein Typ mit einem Moped kommt herangefahren, ruft Carlo einige Worte zu, die dieser – aber nun flüsternd – an Marco weitergibt. Dann der knappe Befehl: „Abrücken.“ Die Skins stehen auf, Marco dreht sich nicht einmal zum Gruß um.

Tags danach erfahre ich, was passiert ist. Einige der Mädchen, die im Auftrag Marcos „zur Arbeit“ gefahren wurden, sind in eine Polizeikontrolle geraten – und nun wird Marco als Zuhälter gesucht. Vermutlich wird er für einige Zeit wieder als Türsteher in Wien anheuern. Und sich erneut zum Opfer verfolgungswütiger Linker erklären.