■ Chiracs Atomtests – Erbe gaullistischer Ignoranz
: Die programmierte Krise

Der Countdown läuft. In weniger als zwei Wochen will Frankreichs neuer Präsident Jacques Chirac seine erste Atombombe zünden (lassen). Er sieht sich dabei in einer großen Tradition. Kein Präsident der fünften Republik hat schließlich bisher auf das Spiel mit der Bombe verzichtet. Die Sicherheit Frankreichs hat Priorität. So der Gaullist, als er den Atomteststopp seines sozialistischen Vorgängers Mitterrand aufhob. Frankreich sei in 100 Jahren dreimal von fremden Mächten besetzt worden, schob sein Außenminister nach. Und das Land werde sich und die Bombe notfalls gegen den Rest der (demokratischen) Welt verteidigen. Wir testen – auch wenn ein Greenpeace- Boot in der Lagune von Moruroa schwimmt.

Schon de Gaulle hatte zur Demonstration französischer Großmachtansprüche auf die Bombe gesetzt. Und de Gaulle hatte auch die noch heute gültige Marschrichtung ausgegeben: Tests ohne Rücksicht auf die Weltöffentlichkeit. Die Bewohner der Kolonien und deren Nachbarvölker als Versuchskaninchen. Nur keine Tests im eigenen Hinterhof. Während Amerikaner, Sowjets und Briten wegen der globalen Gefährdung durch den radioaktiven Fallout Anfang der sechziger Jahre auf atmosphärische Atomtests verzichteten, begannen die Franzosen zunächst in Algerien und nach dessen Unabhängigkeit dann in Polynesien zu testen. Politische Arroganz gegenüber den Kolonien ging dabei mit wissenschaftlicher Ignoranz einher. Wiederholt ließ de Gaulle bei widrigen Wetterverhältnissen auf Moruroa testen. Radioaktive Wolken regneten über Westsamoa ab. Die Strahlenbelastung auf Tahiti stieg. De Gaulle experimentierte – mit der Gesundheit vieler Menschen.

Ignoranz regiert auch jetzt wieder im Elysee-Palast. Von Chirac wird dieser Tage die Äußerung kolportiert, seine Mitarbeiter hätten ihn nicht vor dem politischen Fallout der geplanten Atomtests 50 Jahre nach den Bomben von Hiroshima und Nagasaki gewarnt. Fehlt nur noch, daß Chirac klagt, nichts von der Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages im Monat vor seiner Testentscheidung mitbekommen zu haben. Der Präsident experimentiert mit dem Willen zur atomaren Abrüstung, letztlich mit dem Frieden.

Solche Spieler sollten aus dem Verkehr gezogen werden. 60 Prozent der Französinnen und Franzosen sind schon heute gegen die Tests. Wenn die Auseinandersetzung im Pazifik eskaliert, wird es letztlich auf sie ankommen. Nur sie können in den kommenden zwei Wochen ihren Präsidenten zum Einlenken zwingen. Hermann-Josef Tenhagen