Frankreichs Chef-Thatcherist gefeuert

■ Regierungschef entläßt Wirtschaftsminister Madelin wegen Uneinigkeit über zukünftige Finanzpolitik. Der Wirtschaftsliberale wird durch den Entwicklungshilfeminister ersetzt: Mehr Sozialpolitik angestr

Berlin (taz/AFP/rtr) – Nach 100 Tagen an der Macht ist Frankreichs Regierung in eine ernste Krise gestürzt. Premierminister Alain Juppé hat am Wochenende das Rücktrittsgesuch von Wirtschafts- und Finanzminister Alain Madelin angenommen. Schon seit Monaten lieferten sich Juppé und Madelin eine Kraftprobe. Der liberale Madelin, der als „Thatcher- Fan“ gilt, wollte eine rigorose Reformpolitik im Steuer- und Sozialbereich durchdrücken.

Schon bei der Regierungsbildung hatte Juppé Vorbehalte gegen den ultraliberalen Madelin geäußert. Doch Madelin hatte sich im Präsidentschaftswahlkampf als eine der treuesten Stützen von Staatschef Chirac bewiesen. Dafür wurde er mit dem Doppelministerium belohnt. Gleich bei der Vorbereitung des Haushaltsentwurfs hatten sich die Spannungen zwischen Juppé und Madelin verstärkt. Der Finanzminister wollte neue Ausgaben bedingungslos auf ein Mindestmaß beschränken, um das Haushaltsdefizit nicht noch weiter ansteigen zu lassen. In Zweifel versuchte er seinen Vorstellungen auch schon einmal durchzusetzen, indem er Informationen noch vor der Entscheidung des Regierungschefs an die Medien weiterleitete.

Ende Juni kam es zu einem ersten Eklat: Madelin kündigte eine Rentenreform für Herbst an, die einen Tag später vom Amt des Regierungschefs dementiert wurde. Mitte Juli preschte Madelin erneut vor. Diesmal wollte er so bald wie möglich den Höchstsatz bei der Einkommensteuer senken. Juppés winkte ab und verschob die Steuerreform um ein Jahr.

Schaden nahm bei dem Hin und Her auch die Popularität von Staatspräsident Jacques Chirac und Regierungschef Juppé. Chirac büßte nach Umfragen innerhalb von drei Monaten 20 Punkte ein, so daß sich jetzt mit je 39 Prozent der Befragten zufriedene und unzufriedene Bürger die Waage halten.

Der schwellende Konflikt zwischen Madelin und Juppé hatte sich am Donnerstag dramatisch zugespitzt. Madelins Forderungen nach Kürzung der Beamtenpensionen und der Sozialhilfe verursachten heftige Proteste bei den Gewerkschaften. Von seinem Rauswurf unbeeindruckt legte er am Samstag nach: „Es gibt keine andere Politik, als mutig gegen die Verschwendung öffentlicher Gelder anzugehen.“ Mit der Ablösung des Ministers will die französische Regierung wieder auf das Wahlversprechen von Präsident Chirac einschwenken: den „sozialen Riß“ in der französischen Gesellschaft zu kitten.

Der neue Wirtschaftsminister Jean Arthuis, bisheriger Minister für wirtschaftliche Entwicklung, plädiert jetzt vor allem für wirtschaftliche Reformen, die sozialverträglich sein müssen.

Mit der Absetzung des Ministers weniger als einen Monat vor der Vorlage des Staatshaushalts 1996 ist der Regierungschef allerdings das Risiko einer Destablisierung der Finanzmärkte eingegangen. Der Kurs des Franc fiel in Paris nach der Bekanntgabe des Rücktritts von 3,4370 auf 3,4485 Franc für eine Mark. jus