Die Mordlegende Barschel lebt

■ Münchner Gutachten stützt die These, der ehemalige Ministerpräsident Schleswig-Holsteins sei 1987 ermordet worden. Nach Meinung der Staatsanwaltschaft läßt das Gutachten viele Fragen offen

Berlin (taz) – Ein neues Gutachten zum Fall Uwe Barschel sorgt für Wirbel. Die Expertise, angefertigt von zwei Toxikologen aus München, erhärtet angeblich den Verdacht, der frühere schleswig- holsteinische Ministerpräsident sei 1987 in Genf ermordet worden. Die Staatsanwaltschaft will das Gutachten voraussichtlich Anfang der Woche der Öffentlichkeit vorstellen.

Die beiden Münchner Toxikologen Ludwig von Meyer und Wolfgang Eisenmenger fanden nach einem Bericht des ZDF bei ihren Untersuchungen mehr als sieben Jahre nach Barschels Tod den Arzneimittelwirkstoff Methyprylon in Barschels Blut und Galle. Dieses Mittel ist vor allem im Schlafmittel Noludar enthalten und führt in Verbindung mit Alkohol oft zu Bewußtlosigkeit. Die Toxikologen wiesen in Barschels Urin erstmals auch Alkohol nach.

In früheren Gutachten war ein tödlicher „Medikamentencocktail“ mit dem Schlafmittel Cyclobarbital für Barschels Tod verantwortlich gemacht worden. Nach den Erkenntnissen der Gutachter könnten Dritte ihm diesen „Cocktail“ eingeflößt haben, möglicherweise, nachdem er durch „Noludar“ und Alkohol schon in Bewußtlosigkeit gefallen war. Die Gutachter stellen fest, daß die Blase des CDU-Politikers mit mehr als einem halben Liter Urin gefüllt war. Dies spräche für eine längere Bewußtlosigkeit vor seinem Tod. Schon im Oktober 1994 hatte der Schweizer Toxikologe Hans Brandenberger in einem Gutachten festgestellt, es sei „sehr unwahrscheinlich“, daß Barschel bei der Zufuhr des tödlichen Medikamentes Cyclobarbital noch handlungsfähig war.

Der schleswig-holsteinische Generalstaatsanwalt Heribert Ostendorf bestätigte zwar am Wochenende, daß die Expertise eingegangen sei, wollte sich aber zu dem Mordverdacht nicht äußern. Nach Informationen der Nachrichtenagentur rtr geht die schleswig-holsteinische Justiz nicht davon aus, daß durch das Gutachten der Mordverdacht erhärtet wird. Das Gutachten werfe mehr Fragen auf, als daß es Antworten gebe. Zwar bestehe weiterhin ein Mordverdacht, eine Verstärkung des Verdachts gebe es aber nicht.

Auch auf der Suche nach möglichen Tätern oder einem möglichen Tatmotiv sind die Ermittler Medienberichten zufolge noch nicht weitergekommen. Ein Anfang des Jahres vom leitenden Oberstaatsanwalt Jürgen Wille einberufener Runder Tisch der Geheimdienste habe keine Ergebnisse gebracht. Der Spiegel zitiert Wille mit den Worten: „Die Dienste haben uns belogen und immer nur das zugegeben, was wir schon wußten.“ BD