Der Countdown läuft, immer mehr Atomtestgegner zieht es nach Moruroa . Während Greenpeace schon einen Durchbruch in das abgesperrte französische Atomtestgebiet plant, treffen auf Tahiti Aktivisten unterschiedlicher Herkunft ihre Vorbereitungen, Chirac einen Strich durch die Rechnung zu machen. Das Motiv, das sie eint, lautet: „etwas gegen solche Sauereien zu tun“. Aus Papeete Nicola Liebert

Die Natur nicht einfach aufgeben

Die taz!“ kräht August- Friedrich Lehmann aus Düsseldorf und dreht sich ruckartig um. „Olof, komm ma', die junge Frau is von der Zeitung, die ich dir gezeigt hab'. Vonner taz, dat is die beste Zeitung in Deutschland.“ Wie schade, daß die Kamera von Sat.1 gerade nicht lief – das hätte einen schönen Werbespot eingebracht.

Der 50jährige Lehmann, genannt Äust, ist mit seinen zwei Freunden, dem Niederländer Olof Smit und Thomas Wagenaar aus Velbert bei Düsseldorf, nach Tahiti gekommen, um hier ein Boot zu finden. Um damit nach Moruroa zu segeln. Nebenbei haben sie auch noch ein vierköpfiges Team von Sat.1 im Schlepptau, von dem sie jeden ihrer Schritte begleiten lassen. Gegen Geld, obwohl Äust nicht gerne davon spricht. Dann spricht er aber doch davon, denn soeben überreicht der Deutsche in einer feierlichen Zeremonie, begleitet von Trommeln und Muschelhörnern, dem Chef der tahitianischen Organisation Hiti Tau, Gabriel Tetiarahi, 7.000 Mark. Hiti Tau („Es ist Zeit“) kämpft für die Rechte des Volkes der Maohi, und das ist gleichbedeutend mit dem Kampf gegen die Atomversuche.

Die Zeremonie findet vor dem kleinen Hiti-Tau-Büro in Papeete statt. Da wird viel geschoben, bis alle Ehrengäste dort stehen, wo sie sollen. Da werden Reden gehalten auf französisch, tahitianisch, englisch und deutsch. Von viel internationaler Solidarität ist da die Rede, und in diesem Moment kann es eigentlich keinen Zweifel geben, daß man die Atomtests gemeinsam schon verhindern werde. Frauen von Hiti Tau ziehen an den vorwiegend deutschen Gästen vorbei und behängen diese mit Blumenketten. Zwei Dutzend schweißfeuchte Wangen reiben sich an den Wangen der solchermaßen Geehrten, schließlich prostet man sich mit aufgehackten Kokosnüssen zu.

Beim anschließenden Mittagessen mit heimischen Gerichten aus einem fast zwei Meter tiefen Loch, in dem die Speisen durch heiße Steine gegart werden, taut Olof Smit auf. Mit seinen Wurstfingern verfüttert er Fisch und Tarowurzeln an die Redakteurin der besten Zeitung Deutschlands, und das Grinsen gräbt Furchen in sein breites Gesicht. So schließt er Freundschaft, auch wenn er in der ersten Zeit so gut wie gar nichts sagt.

Dafür redet Äust, der mit seinem Walroßschnauzer und dem schwarzweißen Taschentuch, das er sich um die schütteren grau- blonden Haare gebunden hat, sofort die Meisterprüfung zum Piraten bestehen könnte. Im bürgerlichen Leben, daheim in Düsseldorf, ist er Besitzer eines Fruchtgroßhandels. Als er von den Plänen des französischen Präsidenten Chirac hörte, die Atomtests wieder aufzunehmen, da hat er spontan bei Greenpeace angerufen. „Jungs, soll ich für euch einen Boykott französischen Obstes organisieren, hab ich die gefragt. Aber das wollten die nicht. Was kann ich dann für euch tun, hab ich gefragt. Nach Moruroa segeln, antworteten die.“

In Papeete haben er und seine beiden Freunde nach langem Suchen ein „klasse Boot“ gefunden, das sie nach Moruroa bringen soll: einen Katamaran. Und einen Kapitän, den Tom aus Florida, „ein klasse Typ“. Da hätten sie so abends auf dem Deck gelegen, neben dem schwarzen Strand von Papeete, der Tom hätte Ukulele gespielt und dazu auf spanisch Liebeslieder gesungen. Dann hätte er auf einen Stern gezeigt und gesagt: „Jupiter“. Und danach auf einen anderen: „Mars.“ – „Dieser Typ, das glaubst du gar nicht. Der weiß noch nach den Sternen zu navigieren. Und seinen Katamaran, den hat der doch glatt selber gebaut.“

Der klasse Typ, stets hinter einer Sonnenbrille mit Scheuklappen an der Seite versteckt, lädt stolz zur Besichtigung seines Bootes ein. „Die Aveia ist ein magisches Boot. Auf ihr wird niemand seekrank.“ Liebevoll streichelt er die Solarzellen, mit denen er Licht und Stereoanlage an Bord betreibt. Eng werden es die Moruroa- Segler in den nächsten drei Wochen haben – die vier Kabinen sind gerade so groß wie die Matratzen und nur wenig über einen Meter hoch. Der 39jährige Tom Woolf hat sich vor einem Jahr als Skipper auf Tahiti niedergelassen und bemüht sich seither um eine Charterlizenz — nicht leicht für einen Ausländer. Jetzt steht er kurz davor, sie zu bekommen; die ersten Kunden, Touristen aus USA, hat er schon.

„Nicht zusehen, wie die die Erde kaputtmachen“

Aber just diese Lizenz, von der sein Lebensunterhalt abhängt, riskiert er, wenn er die zwei Deutschen und den Holländer nach Moruroa bringt. Die anderen Charter- Unternehmer auf Tahiti trauen sich erst gar nicht, in diese Richtung auszulaufen, denn die Franzosen verstehen da keinen Spaß. Vor allem drohen sie, die Boote zu beschlagnahmen. Ausländer dürften sie relativ schnell wieder zurückbekommen, damit kein diplomatischer Ärger aufkommt. Aber es kann auch Jahre dauern, wie Protestler vor Moruroa erfahren mußten — der sichere Ruin für die, die von ihren Booten leben.

„Man kann nicht einfach zusehen, wie die die Erde kaputtmachen“, nuschelt der hagere Althippie mit dem langen blonden Pferdeschwanz in sattem US-Slang, während er mit einer Seilwinde den gerade reparierten Hilfsmotor an seinem Schiff runterläßt. „Was ist wichtiger: die Erde oder meine Charterlizenz?“ Und Tom sagt ganz leise: „Ich habe eine ganze Weile drüber nachgedacht. Aber ich glaube, es ist nicht meine Lizenz. Und wenn ich das sage, dann heißt das eine Menge.“

Es gibt noch ein anderes Motiv. „Ich laß mir nicht sagen, wo ich hinfahren darf, die Welt gehört allen.“ Ihm stinkt, daß das französische Militär die Unverschämtheit besitzt, nach Bedarf Teile Polynesiens für die Skipper zu sperren. Aus dem Mann kann noch viel werden; David McTaggart, der Greenpeace-Gründer, hat vor rund 25 Jahren seine Karriere als Umweltschützer aus demselben Grund am selben Orte begonnen.

Außer Tom gibt es in Papeete noch einen Amerikaner, der sich nicht verbieten läßt zu fahren, wohin er will: Randy Short. Ihn hatten Äust und seine Freunde, schon bevor sie Tom trafen, aufgetrieben, indem sie tagelang am Strand herumliefen und alle Bootsbesitzer ansprachen. Aber dann kam der Anstand ins Spiel. Denn während von überall im Pazifik Boote Richtung Moruroa ausliefen, mit deutschen Journalisten und Rap-Bands an Bord, mit australischen Parlamentariern und neuseeländischen Umweltschützern, mußten die eigentlich von den Atomtests Betroffenen, die Polynesier selbst, zu Hause bleiben. Kein Bootsbesitzer auf Tahiti war bereit, sie auf die Protesttour mitzunehmen. Und so traten Äust, Olof und Thomas zurück und überließen das Boot der Organisation Hiti Tau. Und die Kosten dafür übernimmt der Äust Lehmann gleich mit.

„Wenn die nicht hätten fahren können, wären wir auch nicht gefahren“, stand für den gemütlichen Olof von Anfang an fest. „Die meisten ausländischen Typen, die nach Tahiti kommen“ – jetzt wird er ein klein wenig lauter als sonst –, „gehen doch allenfalls in die lokale Frau rein. Wir gehen in die lokale Bevölkerung.“ Der 54jährige, ein Mann wie ein Bär mit blondem Wuschelkopf, sitzt vor dem aus vier traditionellen Hütten bestehenden Protestcamp von Hiti Tau vor dem Territorialparlament und der Regierung in Papeete. Zwar spricht er nur holländisch, englisch und deutsch und die Hiti-Tau- Leute nur tahitianisch und französisch. Aber das macht überhaupt nichts, denn das gemeinsame Ziel macht hier alle zu Freunden. Er begrüßt ganz herzlich einen Mann mit verwegenen Tätowierungen und mit einem zu einem Zopf geflochtenen Kinnbart: Moana Porutu ist einer der drei Polynesier, die nach Moruroa aufbrechen. Die zwei geben sich die Hand, verhaken ihre Finger ineinander, schlagen die Fäuste erst gegeneinander und schließlich an die eigene Brust. „Wir sind einander verbunden, wir helfen uns, wir meinen es wirklich und von ganzem Herzen“, übersetzt Olof die Zeremonie.

Seit drei Jahren verbringt er einen Gutteil seiner Zeit im brasilianischen Regenwald bei einem Indianervolk, erzählt er mit seinem kehligen holländischen Akzent. Dort ist jetzt sein Zuhause, dort lebt auch seine Frau. Er sucht Heilpflanzen und läßt sich von den Indianern ihre Heilmethoden erklären. In seinem europäischen Leben macht er Filme fürs Fernsehen, meistens über ökologischen Landbau in aller Welt. So hat er übrigens Äust kennengelernt, denn auch der Düsseldorfer interessiert sich für ökologischen Landbau, vermarktet Bio-Obst.

Besorgt, aber innerlich unbeugsam: „Wir fahren“

Dicke Freunde wurden sie, als Äusts Bruder an einem Gehirntumor erkrankte und die Ärzte ihm keine Hoffnung mehr gaben. Damals bat Äust Olof um Hilfe – und der kam auch gleich mit seinen Pflanzen aus dem Regenwald. Und der Bruder? „Der Tumor ist auf ein Klümpchen zusammengeschrumpft, und das haben sie ihm dann rausgeschnitten“, sagt er lapidar. Er schweigt eine Weile. „Weißt du, die Natur ist eine so wunderbare Sache. Die darf man nicht so einfach aufgeben. Als mich der Äust angerufen hat, ob ich mit nach Moruroa komme, da hab' ich nicht sehr lange überlegt.“

Auch der dritte im Bunde, Thomas Wagenaar, hat nur kurz überlegt, als sein Freund ihn anrief. In Velbert hat der 32jährige ein Sportwarengeschäft, und in der Umweltbewegung hat er sich eigentlich bislang nie engagiert. Klar, daß er versucht, so wenig wie möglich mit dem Auto zu fahren, klar trennt er seinen Müll. Shell hat er boykottiert, als es gegen die Versenkung der Ölplattform ging, und französische Produkte jetzt auch – „keine Frage“. Aber wegen der Atomtests nach Polynesien fahren, sein Geschäft wochenlang alleine lassen? „Nachdem die Sache mit der Brent Spar passiert ist“, überlegte er sich dann, „als sich gezeigt hat, daß man etwas tun kann gegen solche Sauereien, da habe ich einfach ja gesagt.“

Am Abend, bevor die Aveia in See stechen soll, sitzen alle zusammen in einem Restaurant, die Stimmung ist gedrückt. Der Kapitän der Moriah, die die drei Tahitianer mitnehmen soll, hat von den Behörden die Genehmigung zum Auschecken aus dem Hafen nur bekommen für eine Ausreise aus Französisch-Polynesien. Für Randy Short von der Moriah ist es kein sonderliches Problem, daß er nun nicht mehr nach Papeete zurückfahren darf. Er wollte ja ohnehin die Welt umsegeln, und die drei Polynesier, nun, die müssen eben mit dem Flugzeug von den Cookinseln zurückfliegen.

Aber für Captain Tom und sein Freund Marc, der mit ihm zusammen in Papeete ein Charter-Geschäft hochziehen wollte und dessen Freundin hier lebt, ist es eine schwere Entscheidung. „Fidji soll ja auch sehr schön sein“, versucht Marc mit mühsamem Witz in der Stimme Tom zu trösten. „Jungs, das müßt ihr wissen“, sagt Äust nur, „ich will nicht an eurem Unglück schuld sein.“ Tom hockt vorn übergebeugt da, aber innerlich unbeugsam sagt er: „Wir fahren.“