„Einschläfern woll'n wa se nich'!“

■ Wie wollen die Verlage in den Neuen Ländern die Leser bei der Stange halten? Kiepenheuer-Lektor Thorsten Ahrend, auf Lesereise im Norden, erzählte der taz von den Überlebensstrategien

Gut, daß es Thorsten Ahrend gibt. Seit Herbst letzten Jahres ist Ahrend Lektor beim Leipziger Kiepenheuer-Verlag. Zusammen mit der Verlagsleiterin Birgit Peter versucht er, dem traditionsreichen Unternehmen Verlagsprofil zu geben. Nicht zuletzt um zu zeigen: Der Leipziger Verlag ist keine Kurzbezeichnung für den großen Bruder aus Köln, Kiepenheuer & Witsch. Mit Wolfgang Hegewald, einem Kiepenheuer-Autor, war Thorsten Ahrend letzte Woche auf Lesereise in Bremerhaven (s. taz 26.8.) Für die taz machte Ahrend einen Abstecher nach Bremen.

taz: Am 5. Oktober startet mit großem Werbeaufrand Joseph Vilsmaiers Film „Schlafes Bruder“. Die Vorlage stammt von Robert Schneider, dessen gleichnamiges Buch völlig unerwartet zum Renner im Reclam-Verlag avancierte. Damals waren Sie noch Lektor dort...

Thorsten Ahrend: Das ist eine schöne Geschichte, weil 24 Verlage das Buch abgelehnt hatten, und dann wird es so erfolgreich.

Trotzdem gingen Sie weg von Reclam.

Als ich ging, war außer mir noch eine halbe Stelle besetzt im Lektorat. Das habe ich als eine Lüge empfunden, da weiterzuarbeiten. Es hat einen so brutalen Stellenabbau dort gegeben, obwohl der Verlag ein Programm hatte, das sich sehen lassen kann und auf dem Markt Erfolg hatte. Ich mußte dann unter Schmerzen das Handtuch werfen.

Und gingen dann mit Ihrem guten Ruf als Spürnase für Bestseller zu Kiepenheuer.

Es ist eine verrückte Situation, eine Herausforderung, einen Verlag quasi von Null neu zu strukturieren. Es ist ohnehin schon schwer, als Lektor einen Job zu finden. Normalerweise besetzt man dann ein Feld, das zu 80 Prozent schon festgelegt ist. Bei Kiepenheuer fangen wir neu an: zu zweit. Was aber nichts so Ungewöhnliches ist in der Branche.

Das Kapital kommt aus dem Westen, von Bernd Lunkewitz, der sich als Doppelbegabung – Geschäftsmann und Schöngeist – versteht. Die inhaltlichen Vorgaben auch?

Seit ich bei Kiepenheuer arbeite, war er noch nie da. Als ich eingestellt wurde, habe ich mit ihm ein paar Gespräche gehabt. Er wollte, daß der Verlag Profil kriegt und irgendwann so weit ist, daß nicht immer nur Geld reingesteckt wird. Aber ansonsten hieß es einfach: ,Mach mal !' Das ist eine gute Vertrauensbasis.

Wolfgang Hegewald, mit dem Sie mit seinem „Saalkandidaten“ auf Lesereise nach Bremerhaven gehen, ist 1983 in den Westen aus gereist. In der DDR durfte er nicht veröffentlichen. Jetzt ist er wieder bei Kiepenheuer. Nicht gerade angenehm, die Vorstellung, manche Lektoren von früh er wiederzusehen.

Jaaa, da hat er mit mir natürlich Glück! Wahrscheinlich hätte es Verlage gegeben, wo er nie veröffentlichen würde. Aber andererseits: So viele Lektoren, die noch übriggeblieben sind, gibt es nicht, weil die Verlage sich so verkleinert haben. Meine Vorgänger bei Reclam haben Bücher gemacht mit Leuten, die schon im Westen waren. Natürlich war das ein Kampf in alle Richtungen. Ich habe Bände gemacht mit Hilbig, mit Günter Kunert, mit Sarah Kirsch. Mit Weggegangenen zu arbeiten, das war normaler, als manche von ihnen es jetzt so sehen.

Jetzt sind diese Kontakte hilfreich.

Die Autorenrechte gehen bis 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Wir haben sie einfach nicht. Entweder man geht auf internationale Rechte, das ist versucht worden mit ostasiatischer Literatur, aber da hab ich nicht die Kompetenz. Wir machen jetzt deutsche Gegenwartsliteratur und kulturgeschichtliches Sachbuch. Man kann aber zum Herbstprogramm nur etwas vorlegen, was man schon in der Schublade hatte. Deshalb war das Programm eher ein Zufall, bestimmt durch die Kontakte, die man hatte.

Das Flaggschiff der Lunkewitz-Gruppe, der Aufbau-Verlag, ist seinerzeit mit der Maxime angetreten, die Emanzipation des Menschen zu fördern. Hat Kiepenheuer Ähnliches zu bieten?

Och, einschläfern woll'n wir sie ooch nich', die Leser. Wir versuchen, das zu bringen, wo wir Verbindung und Wissen haben. Zum Beispiel zu Wolfgang Emmerich (Professor für Neuere ,deutsche Literaturgeschichte an der Uni Bremen, Red.), der die beste Literaturge- schichte der DDR geschrieben hat, die jetzt in abgeschlossener Form erscheint. Da merken wir auch, daß das Interesse riesengroß ist. Das Buch deutet auch an, wo wir vom Programm her hinwollen.

Können sich viele privatisierte DDR-Verlage solche anspruchsvollen Titel leisten?

Viele DDR-Verlage sind gar nicht eingegangen, sondern nur sehr klein geworden. Die machen zum großen Teil kein belletristisches anspruchsvolles Programm mehr. Bei namhaften Autoren war es fast immer so, daß die Rechte deutsch-deutsch gesplittet waren. Sehr häufig gingen dann die Rechte nicht an den Ost-Verlag. Und wenn der Rechte-Stock, der Schatz eines Verlages, weg ist, muß man sich was ausdenken.

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