Information as usual

■ Gestern startete das neue "Info-Radio" von SFB und ORB: Zu viele Journalisten schauen auf - nichts

Seit Montag sechs Uhr früh gehöre ich zur Info-Elite. Da ging nämlich in Berlin und Brandenburg das „Info-Radio“ on the air, wie wir Profis sagen. Bestritten wird das „24-Stunden-rund-um- die-Uhr-Wortprogramm“ mit 70 Mitarbeitern des Landsenders ORB und des Stadtfunks SFB. Den Anfang machten die beiden Intendanten selbst: Günther von Lojewski und Hansjürgen Rosenbauer verlasen die ersten 5-Minuten-Nachrichten. Dann übernahmen jedoch wieder die uns in den letzten 25 Jahren liebgewordenen reif-weiblichen Stimmen des öffentlichen Dienstes Sitz und Mikro.

Mit schnellen O-Tönen dazwischen. Und immer wieder Small talks mit Kolleginnen aus anderen ORB- und SFB-Kanälen. Bereits um 7.04 Uhr war die Moderatorin ganz baff, wie lange sie bereits geredet hatte. Ihre Gesprächspartnerin wünschte dann auch einen „flüssigen Gesprächsverlauf weiterhin“. Überhaupt gab es von allen Seiten erst mal „Glückwünsche“. Und das ist schon mal grundfalsch: Solch einem Sender darf man nur Unglücke und Katastrophen wünschen.

Bereits der erste Tag offenbarte aufs kläglichste, was Monika Zimmermann aus des Chefredaktion des Tagesspiegel einmal als das „Berlin-Problem“ bezeichnet hat: „Zu viele Journalisten schauen auf – nichts!“ Im „Info-Radio“ hört sich das – einen Bericht über ein deutsch-polnisches Sommerfest zusammenfassend – so an: „Erfreuliche Normalität herrscht da also!“

Gewiß, da gab es wieder Neues aus Jugoslawien: USA drohen Serben mit Bomben, der Reporter vom Greenpeace-Schiff berichtete, sie hätten „hartes Schlauchboot-Training“ hinter sich, in „Israel, pardon Istanbul“ zündeten Unbekannte vier Bomben, der „Dollar“, ging ab-, der „Dow Jones Index“ aufwärts, die Stuttgarter Kickers verloren, und der brandenburgische Justizminister nannte die Ereignisse in Luckau „die gefährlichste Meuterei seit Bestehen des Landes“.

Manfred Stolpe hatte man bereits vorab interviewt, leider nur bei einem wohltätigen Skatspiel, aber der frühere Kirchenjurist wußte sich zu helfen: „Der Schwierigkeitsgrad beim Skat ist nämlich ähnlich wie im richtigen Leben!“

Besonders enttäuschte die pionierhafte Stadt-Land-Programmfusion beim Verkehrsfunk: Wen interessiert in der Priegnitz halbstündig eine Stau-Durchsage für das Westberliner Friedrich-Liszt- Ufer? Das „Info-Radio“ will laut Eigenwerbung wachrütteln, zum zivilen Ungehorsam ermuntern und radikal aufklären ... Nein! „Wir machen Nachrichten interessant“ und „Regionales wird bei uns ganz groß geschrieben!“ Dazu kam erst einmal Ulrich Wickert zu Wort: „Nachrichten sind unheimlich wichtig. Ein Journalist muß a) wissen, was eine Nachricht ist und b), wie er sie vermittelt. Er muß also unglaublich viel können.“

Sodann folgte „das Wichtigste aus dem Land“: Ein Bankraub in Saarmund, gescheitert. Außerdem eine Volksabstimmung kurz vor Sachsen: Die Kleinstadt Ortrand bleibt brandenburgisch („Da knallten die Sektkorken“), ferner ein Statement vom Wirtschaftsminister zum Ladenschlußgesetz: „Da bewegt sich jetzt was, auch beim Kanzler.“ Dazu O-Töne von Supermarktverkäuferinnen: „Das bringt nix, die Leute haben doch nicht mehr Geld.“

Stimmt! In Ostberlin schaffen sie gerade den langen Donnerstag ab, weil die Verkäuferinnen sich abends gefährdet fühlen – durch Penner, Punker und Besoffene; eine Kaiser's-Analyse ergab jüngst in Treptow: 80 Prozent der vor zweieinhalb Jahren Arbeitslosen sind inzwischen Sozialhilfempfänger.

Und damit haben wir bereits die generelle Crux des „Info-Radios“ benannt: Solange „die Leute“ das „business as usual“ ertragen und ihr Klassenkampf bloß in Form von Magengeschwüren, Amokläufen und Nörgeln stattfindet, bestehen die Nachrichten nur aus dem, was Politik und Pinatubo, Sport, Militär und sogenannte Wirtschaft täglich so an „Ereignissen“ absondern.

Aber, zur Info-Elite gehörend, übe ich mich in Geduld: Lange kann es nicht mehr dauern, und dann brauchen wir wirklich ein „Info-Radio“ – wenn es der SFB bis dahin nicht wieder vergurkt, so wie 1968, als man sich gezwungen sah, erst den Sender zu „besetzen“ und dann die freiwerdenden Stellen dort selber einzunehmen. Helmut Höge