Halleluja Beckstein wär' schön

■ Bayerns Innenminister Günther Beckstein über Kruzifix, Abschiebung und Kirchenasyl, sein christliches Selbstverständnis und die christliche Kritik an seiner Person

taz: Herr Beckstein, auch in Ihrem Klassenzimmer hing ein Kreuz.

Beckstein: Ich habe das als selbstverständlich empfunden, es hat einfach dazugehört wie die Tafel oder das Pult oder das Schulgebet zu Beginn des Unterrichts.

Was bedeutet Ihnen heute das Kruzifix?

Das Kreuz ist ein wichtiges Symbol des christlichen Abendlandes, dazu gehören Kirchtürme, Wegekreuze, Gipfelkreuze und auch das Kreuz im Klassenzimmer in der Schule. Ich persönlich bin praktizierender evangelischer Christ, für mich ist das Kreuz ein wichtiges Zeichen unseres Glaubens.

Sollte jeder Schüler per Gesetz mit dem Kreuz konfrontiert werden?

Wir müssen unsere christlich- abendländische Tradition deutlich machen. Niemandem darf sein Glaube vorgeschrieben werden, aber Deutschland ist eben weltanschaulich kein völlig neutrales Land. Es ist wichtig, daß wir eher mehr an Werten vermitteln als weniger. Deswegen ist das Kreuz in der Schule wichtig. Jeder kann sich nach wie vor frei oder gegen ein Glaubensbekenntnis entscheiden.

Andere Bundesländer sind da gelassener. Endet das christliche Abendland nördlich des Mains?

Andere Länder haben ein anderes Selbstverständnis. In der bayerischen Verfassung hat die Beziehung zu Gott einen weitaus größeren Stellenwert als anderswo. Es ist also kein Zufall, daß sich diese Frage an einer bayerischen Vorschrift entzündet hat.

Untergräbt die massive Schelte des Urteils, die teilweise in der Aufforderung zum Rechtsbruch gipfelte, nicht die rechtliche Ordnung dieser Republik?

Daß ein Verfassungsrichter sich außerhalb der Urteilsbeggründung genötig gesehen hat, das Urteil zu erläutern, zeigt doch, daß die Kritik offensichtlich richtig ist. Wenn ein Urteil vom Handwerklichen her ordentlich gemacht ist, dann ist es aus sich heraus verständlich. Über diesen Fall hinaus ist aber nach meiner persönlichen Auffassung eine Diskussion über die Funktion, Zusammensetzung und die Einführung einer qualifizierten Mehrheit beispielsweise von zwei Dritteln der Stimmen der Verfassungsrichter nötig – vor allem bei so weitreichenden Entscheidungen.

Das Urteil wurde mit fünf gegen drei Stimmen gefaßt, das sind 62,5 Prozent.

Wenn man schon dem Bundesverfassungsgericht eine Normverwerfungskompetenz schafft, dann muß das meiner Meinung nach, mit einer qualifizierten Mehrheit geschehen. Fünf zu drei, das sind zwar über 60 Prozent, aber eben doch nur eine Stimme Mehrheit. Man kann auch für ganz entscheidende Fragen die Einstimmigkeit eines Beschlusses fordern.

„Das Kruzifix-Urteil ist sehr gut vertretbar.“ Das sagte der evangelische Bischof von Berlin- Brandenburg, Wolfgang Huber.

Ob ein Bischof immer die richtige Einschätzung von entsprechenden politischen Situationen vertritt, ist nicht unbedingt gesagt. In der evangelischen Kirche wird sehr wenig der Stellenwert erkannt, den die Präsenz christlicher Symbole im Alltagsleben besitzt. Es kommt nicht allein auf die intellektuelle Auseinandersetzung in der Predigt an, sondern eben auch auf Symbole. Das hat der Berliner Bischof nicht erkannt.

Die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen kommentiert das Urteil mit dem Satz „Taten sind wichtiger als Symbole“ und mahnt eine andere Asylpraxis an.

Ich halte ihre Auffassung für falsch, zumal ja gerade aus der evangelischen Kirche in letzter Zeit, wenn es um Asylpolitik oder Unterstützung von Bürgerkriegsflüchtlingen geht, sehr viel weniger an Taten als an Worten kommt.

In der Asylpolitik kommen Sie nicht mehr aus den Schlagzeilen heraus. Wie fühlt man sich als „Hardliner“?

Ich bin nicht Diplomat geworden. Es ist wichtig, einen klaren Standpunkt zu vertreten. Ich weiß, daß ich mich damit der Kritik aussetze. Angesichts der jüngsten Meinungsumfrage stelle ich aber fest: Wenn alle Leute, die meiner Politik zustimmen, mich auch wählen würden, wäre ich sehr zufrieden.

Sie bezeichnen sich selbst als gläubigen Christen und sind Mitglied einer Partei, die sich christlich nennt. Inzwischen sammeln aber sogar biedere Kirchenmitglieder Unterschriften gegen Ihre Politik.

Vor wirklich gutwilligen Leuten, die einem armen Geschöpf helfen wollen, habe ich Respekt. Andere verwenden aber knallhart das Einzelschicksal als Schachfigur. Die sagen Humanität und meinen Durchsetzung von Politik. Für die habe ich nur tiefe Verachtung übrig.

Humanität und Politik, zwei Paar Stiefel?

Wenn ich dem einzelnen Menschen helfen will, dann ist das legitim. Wer aber das einzelne Schiksal nimmt, um Politik daraus zu machen, ohne daß ihn dieses Einzelschicksal überhaupt interessiert, der gibt vor, über Humanität zu reden, betreibt aber nur Machtpolitik.

Ist Ihr Angebot eines Kirchenkontingents ein Eingeständnis, daß das jetzige Asylrecht zu inhumanen Konsequenzen führt?

Hier wird einem doch das Wort im Munde herumgedreht: Das deutsche Asylrecht löst in einer weltweit einmaligen Weise humanitäre Schwierigkeiten. Zudem leistet der Staat humanitär sowieso mehr als beide Kirchen zusammen. Es gibt aber Fälle, wo Kirchen sagen, die Beurteilung des Staates ist falsch, wo der Pfarrer A und der Gemeindevorsteher B sagen, sie wissen es beser als das Bundesverfassungsgericht. Auch solche Leute will ich nicht in Gegensatz zum Staat bringen. Deswegen habe ich meinen Vorschlag gemacht, und ich verhehle nicht, daß ich sehr enttäuscht darüber bin, daß dieser Vorschlag bisher nicht unterstützt wird.

Der sächsische Justizminister Heitmann hat Ihren Vorschlag als „Aushöhlung des Rechtsstaates“ bezeichnet. Der Staat dürfe „keine rechtsfreien Räume dulden“. Das war doch bislang eigentlich Ihr Lieblingssatz.

Ein gesetzlich geregeltes Kirchenkontingent böte keine rechtsfreien Räume. Ich halte nachwievor das Kirchenasyl für eindeutig rechtswidrig, es gibt keine christliche Beistandspflicht gegen den Rechtsstaat. Aber ich will mit meinem Vorschlag aus der Schublade Asylrecht heraus in eine andere Kategorie, wo wir durchaus großzügige Ausnahmen vom Grundsatz, daß Deutschland kein Einwanderungsland ist, haben. Bei den Spitzensportlern beispielsweise oder den Pflegekräften ist das so. Genau wie in diesen Bereichen könnte im Interesse der Kirchen einem kleinen Kontingent die Aufenthaltserlaubnis aufgrund gesetzlicher Regelung zugestanden werden, allerdings nur zu den Konditionen, daß derjenige, in dessen Interesse dieses liegt, auch für die Lasten aufzukommen hat.

Christliche Nächstenliebe also gegen Geld.

Ob es hier in jedem Fall um christliche Nächstenliebe geht, weiß ich nicht. Ich wundere mich, daß viele diese Regelungsmöglichkeit für fraglich halten, die nicht das geringste dabei gefunden haben, daß wir Hunderttausende Bosnier nach denselben Regelungen aufgenommen haben. Da hat niemand gesagt: Beistand gegen Geld.

Sie gehen aus dem Bereich Asylrecht heraus und schaffen ein Sonderrecht für die Kirchen. Warum nur für die Kirchen und warum jetzt plötzlich Spielräume, wo Sie immer vorgaben, daß es solche überhaupt nicht gibt?

Die Spielräume gibt es nach dem geltenden Recht nicht, die wären erst zu schaffen. Wenn ich für einen Sportverein jemanden nach Deutschland holen kann, dann muß ich das doch erst recht für die Kirchen tun können. Wir sind kein multikultureller Staat, sondern ein Teil des christlichen Abendlandes mit einer verfassungsrechtlichen Sonderstellung der beiden Kirchen. Eines ist aber klar: Mein Vorschlag geht nur mit den Kirchen und nicht gegen sie. Er geht auch nicht als bayerischer Alleingang. Wenn ich sehe, daß dies bei den Kirchen nicht gewünscht wird, ist das Thema für mich abgehakt.

Ist es schon abgehakt?

Im Moment noch nicht. Die Kirchen müssen sich erst einig werden. Die Kirchenleitungen sagen, sie wollen eher nichts damit zu tun haben, viele Gemeinden wollen aber auf dieses Angebot eingehen.

Vielleicht durchschaut man in der Kirchenleitung Ihre Strategie: Kirchenkontingente als Befreiungsschlag gegen christliche Kritik an Ihrer Politik?

Der entscheidende Ablehnungsgrund, das geht aus all meinen Gesprächen mit der Kirchenleitung hervor, ist die Angst, in dieselbe Situation zu kommen wie der Staat. Nämlich nicht jeden aufnehmen zu können, überprüfen, entscheiden und ablehnen zu müssen.

Diese Situation wollen Sie den Kirchen nicht ersparen.

Ich habe nicht beabsichtigt, die Kirchen vorzuführen. Ich habe mir das – offen gestanden – aufgrund früherer Gespräche mit Kirchenvertretern zu diesem Thema weniger kompliziert vorgestellt. Viele sind bereit zu zahlen, wenn Menschen in Not sind. Genau denen wollte ich eine Chance geben.

Kontingente auch für die bosnischen Vertriebenen?

Es kann nicht richtig sein, wenn alle Flüchtlinge aus dem Balkan weggeholt werden.

Die werden doch nicht weggeholt, die müssen ja gehen.

Die Leute wollen nur Versorgung und Verpflegung...

...und sie werden vertrieben.

Ja, sie werden aus bestimmten Gebieten vertrieben. Aber, mit allen Einschränkungen eines Vergleichs, übertragen auf bayerische Verhältnisse gesagt: Wenn ich nicht in Nürnberg bleiben kann, muß ich doch nicht unbedingt nach Zagreb, sondern kann eventuell auch in die Oberpfalz oder ins Allgäu. Entscheidend ist doch die Frage: Soll man Leute aus der Region hierher transferieren oder nicht. Wenn ja, warum gilt dies dann nicht für Tschetschenien oder Ruanda. Humanität ist, wenn man vor allem den Leuten in der Region selbst hilft. Gleichzeitig gilt aber: Wenn ein bosnischer Flüchtling zu uns kommt, werden wir ihn in Bayern genauso aufnehmen wie wir das die letzten zwei Jahre auch getan haben. Wir haben für 60.000 Bosnier ein Maß an Humanität erbracht, das keine Kirche, kein anderes Bundesland und kein anderes Land in Europa erbracht hat.

Was glauben Sie, wie der liebe Gott über Günther Beckstein denkt?

Es gibt das Gebot, du sollst dir kein Bildnis machen. Ich würde mir wünschen, wie er denkt, aber das werde ich nicht sagen.

Sind Sie zuerst Christ und dann Staatsbürger oder umgekehrt?

Da gibt es kein Zuerst oder Später. Mein Verhalten ist sittlich gerechtfertigt. Wer sagt, Deutschland ist Einwanderungsland, mag das fordern, wenn er der Oberschicht angehört, wenn er einen sicheren Arbeitsplatz hat oder Beamter ist. Der Maurer oder der Hilfsarbeiter auf der Baustelle ist angesichts harter Konkurrenz darauf angewiesen, daß er einen Schutz hat vor dem Übermaß an Einwanderern, Grenzgängern oder Illegalen.

Kennen Sie noch den Schlußsatz Ihrer Dissertation?

Nein, das ist schon lange her.

Sie zitieren Schillers „Maria Stuart“: „Mißtraut Euch edler Lord, daß nicht der Nutzen des Staates Euch als Gerechtigkeit erscheine!“ Mißtrauen Sie sich noch?

Dafür sorgen schon Presse und die Diskussionen mit den Kirchen. In der Tat ist das Amt des Innenministers mit viel Macht verbunden. Und gerade wenn man Macht hat, ist es richtig, auch scharfe Kontrolle zu haben. Es ist nicht so, daß ich mir die immer wünsche. Ich würde mir schon einmal wünschen, daß auch aus den Kirchen ein „Hervorragend, Beckstein!“ oder ein „Halleluja“ erschallen würde, das wäre schon schöner als diese ewige Nörgelei. Interview: Bernd Siegler