Der Krieg ist die Fortsetzung der Kultur mit anderen Mitteln

■ Der britische Militärhistoriker John Keegan polemisiert gegen die Kriegstheorie von Clausewitz und plädiert für eine Rückbesinnung auf die kulturelle Hegung des Krieges bei „primitiven“ Völkern

„Krieg ist nicht ,eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln'.“ Der erste Satz enthält das Programm des ganzen Buchs. John Keegan, der an der Königlichen Militärakademie in Sandhurst lehrte und jetzt Redakteur des Daily Telegraph ist, hat einen Anti- Clausewitz geschrieben. Eine allgemeingültige Theorie des Krieges, wie sie der Preuße versuchte, hält er für unmöglich. Der Krieg sei „neben vielem anderen auch die Fortführung der Kultur mit ihren eigenen Mitteln“, und jede Kultur führe ihn auf ihre Weise.

Keegans Verdienst besteht darin, die Verschiedenheit der Kulturen gerade nicht als Gefahr, sondern als Chance zu interpretieren. Deshalb ist sein Buch auch als Widerspruch gegen Samuel P. Huntingtons Prognose eines Kampfs der Zivilisationen zu verstehen, in dem sich die Kultur des Westens insbesondere gegen eine Bedrohung durch den Islam zu verteidigen habe. Für Keegan geht die Gefahr gerade von der westlichen Zivilisation selbst aus, deren weltweiter Siegeszug auf einer beispiellosen Rücksichtslosigkeit der Kriegführung beruhe. Mit diesen Methoden habe der Westen jeden Widerstand anderer Kulturen überwunden; bei Konflikten innerhalb der westlichen Welt waren die Folgen aber katastrophal.

Dagegen stellt Keegan die vielfältigen Formen der kulturellen Hegung des Krieges bei „primitiven“, das heißt im wesentlichen außereuropäischen Völkern. Mit einer beeindruckenden Fülle an Material beschreibt er die vielfältigen, teilweise fast spielerischen Formen der Ritualisierung von Schlachten etwa bei den Yanomani in Südamerika, den Maring in Neuguinea, den Maori in Neuseeland und den Azteken. Bei aller Grausamkeit, so Keegan, haben sie eine Eskalation zum Äußersten verhindert. Sklaverei, Menschenopfer, Kindestötung und Duell seien verschwunden, „warum nicht auch der Krieg?“

Ein Pazifist ist Keegan freilich nicht. „Eine Welt ohne Armeen wäre unbewohnbar“, meint er, „die Weltgemeinschaft benötigt mehr denn je gut ausgebildete und disziplinierte Soldaten, die bereit sind, sich in ihren Dienst zu stellen“. Im zweiten Golfkrieg sieht er „den ersten Sieg der Ethik des gerechten Krieges, seit Grotius auf dem Höhepunkt des Dreißigjährigen Krieges dessen Prinzipien festgelegt hatte“, wobei er annimmt, daß dabei keine zivilen Opfer zu beklagen gewesen seien.

Es erscheint indes schwer zu begründen, wieso der Krieg am Golf kein Mittel der Politik gewesen sein sollte. Keegan versucht es trotzdem. Mit „einem dem Islam wohlvertrauten rhetorischen Kunstgriff“ habe Saddam Hussein erklärt, er sei „im Innern seines Wesens nicht geschlagen“. Damit sei dem Sieg der Alliierten seine politische Wirkung genommen worden. Das zeige die „Vergeblichkeit der westlichen Kriegführung, solange der Gegner nicht bereit ist, sich die ihr zugrundeliegenden kulturellen Voraussetzungen zu eigen zu machen“.

Um solche Kunstgriffe braucht Keegan sich im Fall des Krieges im ehemaligen Jugoslawien nicht zu bemühen. Nach seiner allerdings schon 1993 getroffenen Einschätzung ist der Krieg auf dem Balkan ein vorpolitischer Stammeskrieg, „in einer Weise apolitisch, die Clausewitz kaum vorhergesehen hat“. Seine Interpretation scheint unhaltbar, seit immer offenkundiger wird, daß sich in Bosnien eben nicht „primitive“ Krieger planlos abschlachten, sondern in Belgrad und Zagreb durchaus politische Fäden gezogen werden.

Am jugoslawischen Beispiel wird die Gefahr der Entpolitisierung, der Verwischung von Verantwortlichkeiten besonders deutlich, die ein von manchen als „luftig“ empfundener Kulturalismus mit sich bringt. Freilich ließe sich beides im Sinne einer „Politik der Mentalitäten“ verbinden. In diesem Sinne sind Keegans Anregungen natürlich wichtig, das Material, das er ausbreitet, beeindruckend bis erschlagend. Keegan handelt die gesamte Kriegsgeschichte der Menschheit ab. Stein, Fleisch, Eisen und Feuer sind die Kapitel nach den benutzten Materialen überschrieben (wobei mit Fleisch Pferde gemeint sind).

Ärgerlich, daß Keegans Antipathie gegen Clausewitz jede nähere Beschäftigung mit dem Theoretiker verhindert hat. Clausewitz trägt in Keegans Augen eine „gewichtige Verantwortung“ für die „ungeheuerliche kulturelle Verirrung“ des Ersten Weltkriegs, als dessen „ideologischer Vater“ er ihm gilt. Noch Hitler gilt ihm als überzeugter Anhänger von Clausewitz. „Für ihn stellte der Krieg wirklich die Fortsetzung der Politik dar, ja Krieg und Politik waren in seinen Augen überhaupt keine gesonderten Aktivitäten“. Das ist freilich ein Widerspruch in sich, setzt doch Clausewitz' instrumentelle Kriegsauffassung gerade die Trennung von Militär und Politik voraus. Hitlers Praxis folgte erklärtermaßen viel eher der Vorstellung vom „totalen Krieg“ eines Erich Ludendorff, für den alle Vorstellungen von Clausewitz „über den Haufen zu werfen“ waren.

Die Eskalation zum Äußersten wird aber in Clausewitz' Sicht gerade dadurch verhindert, daß der Krieg „die Fortsetzung des politischen Verkehrs unter Einmischung anderer Mittel“ ist. Ralph Bollmann

John Keegan: „Die Kultur des Krieges“, Rowohlt Berlin 1995, 592 Seiten, geb., 68 DM