■ Birmas Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi über die Zeit ihres Arrests und darüber, was für Birma zu hoffen ist
: „Besser verhandeln als schießen!“

Frage: Haben die sechs Jahre Hausarrest Sie physisch oder psychisch beeinträchtigt?

Aung San Suu Kyi: Physisch hatte ich Probleme, aber nicht als Folge des Hausarrests. Ich habe viel gelesen. Mental und emotional hat der Arrest mich wohl eher bestärkt. Das erlebten alle während der letzten sechs Jahre Inhaftierten so. Nur wenige wurden schwach, die meisten wurden bestärkt. Es blieb uns auch gar nichts anderes übrig, wenn wir überleben wollten. Vielleicht haben wir sogar Grund zur Dankbarkeit den Behörden gegenüber.

Hat die Trennung von Ihrer Familie ihre demokratische Haltung je ins Wanken gebracht?

Nein. Ich muß jedoch zugeben, daß ich mich zwingen mußte, nicht allzuviel an die Familie zu denken. Es gab nichts, was ich hätte tun können. Es war eine Frage der Selbstdisziplin, nicht über Dinge nachzugrübeln, auf die ich keinerlei Einfluß hatte.

Hatten Sie eine ungefähre Ahnung, wie lange der Hausarrest dauern würde?

Nein. Anfangs hieß es, es sei für ein Jahr. Dann waren es drei Jahre, dann fünf. Nach der letzten Gesetzesänderung hieß es schließlich, es würden sechs Jahre sein. Inzwischen hatte ich mich auf unbegrenzten Hausarrest eingerichtet.

Wie sah so ein normaler Tag unter Hausarrest aus?

Als ich mich an den Hausarrest gewöhnt hatte, stand ich um 4 Uhr 30 auf, meditierte eine Stunde und hörte mehrere Stunden Radio. Ich konnte mehrere Sender empfangen, z. B. BBC World Service und VOA Burmese Service, die „Demokratische Stimme Burma“. Der Rest der Zeit verteilte sich auf Lesen und Hausarbeit.

Was war besonders bitter am Leben unter Hausarrest?

Die Sorge um die KameradInnen – wie es ihnen und ihren Familien gehen mochte.

Hatten Sie jemals Furcht um Ihr Leben?

Nein, ich ängstigte mich nicht. Ich war mir meiner prekären Situation bewußt. Sie konnten mir jederzeit, was immer ihnen in den Sinn kam, antun. Die Weltöffentlichkeit schützte mich. Im Endeffekt waren jedoch die Zuneigung und Unterstützung des burmesischen Volkes und der – auf mich übertragene – Respekt für meinen toten Vater der beste Schutz.

Fühlen Sie sich jetzt sicher?

Ich denke, ich bin ziemlich sicher, habe aber keine Garantien.

Sie schrieben in ihrem Buch „Frei von Furcht“, nicht Macht korrumpiere, sondern die Angst, Macht zu verlieren. Wovor fürchten Sie sich?

Davor, die, die mir vertrauen, zu enttäuschen. Lieber nehme ich Schwierigkeiten in Kauf, als sie zu verraten. Wenn ich nicht all ihren Erwartungen entsprechen kann, ist das kein Verrat. Ich habe ihnen nie etwas versprochen. Ich sagte nur, ich würde mein Bestes versuchen.

Welche Haltung sollte jetzt, nach Ihrer Freilassung, die Weltöffentlichkeit gegenüber Burma einnehmen?

Zunächst sollte sie die Freilassung anderer politischer Gefangener fordern. Außer mir wurde niemand in den letzten drei Wochen entlassen. Es gibt noch Hunderte politischer Gefangener. Dann sollte sie den Dialog und die Verhandlungen unterstützen. Und zwar nicht nur zum Nutzen Burmas, sondern um darüber hinaus einen internationalen Verhaltenskodex zu etablieren, Probleme mittels Verhandlungen zu klären. Es wäre zum Nutzen aller Länder, wenn wir hier einen Präzedenzfall schaffen: Es ist möglich, Probleme statt durch Unterdrückung durch Verhandlungen zu lösen.

Haben Sie Vorbereitungen für den Fall getroffen, daß das Militär erneut gegen sie vorgeht?

Mein Vater pflegte zu sagen, man soll stets das Beste hoffen, und sich auf das Schlimmste vorbereiten. Ich lebe grundsätzlich nach dieser Maxime.

Ihre Partei, die „Nationale Liga für Demokratie“ (NLD) ist durch die Verfolgungsmaßnahmen der Militärs sehr geschwächt worden. Glauben Sie sich noch unterstützt vom birmesischen Volk?

Natürlich hat die NLD unter den Restriktionen der letzten sechs Jahre stark gelitten. Viele Mitglieder wurden zwangsreligiert, einige gingen aus Angst. Es gibt also nicht soviel offene Unterstützung für die NLD wie vor den Wahlen. Aber als demokratische Bewegung – nicht unbedingt als Partei – sind wir, denke ich, noch populärer als im Jahr 1990.

Wären Sie oder die NLD bereit, sich in die bestehende Nationalversammlung zu integrieren?

Nationalversammlung ist nur ein Wort. Es hängt davon ab, welche Nationalversammlung uns um unseren Beitritt bittet.

Sind sie vorbereitet, Ihr Land demnächst als Premierministerin oder als Präsidentin zu regieren?

Der Vorteil, Mitglied einer demokratischen Partei zu sein, liegt darin, sich nicht als Individuum auf eine derartige Verantwortung vorbereiten zu müssen. Wir wollen keine Diktatur. Wir arbeiten in einem guten Team.Ich glaube nicht, daß ich persönlich mich besonders vorbereiten müßte. Unser Team hat das Vertrauen und Wohlwollen der Bevölkerung. Wir können jedwede Verantwortung übernehmen, die das Volk uns überträgt.

Handelt das Militär korrekt, wenn es versucht, die nationalen Minderheiten an den Verhandlungstisch zu bekommen?

Ja. Der vereinbarte Waffenstillstand ist eine gute Sache, er bedeutet weniger Leid für die Menschen. Er kann aber kein unterzeichnetes Friedensabkommen ersetzen. Er ist nur der erste Schritt. Unser Ziel ist: Friede auf Dauer. Es soll weder zu einer Verletzung des Waffenstillstandsabkommens noch zu einer neuen Welle der Unterdrückung kommen.

Wie würden Sie die Minderheitenfrage, besonders entlang der burmesisch-thailändischen Grenze, lösen?

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, einen Konflikt beizulegen; entweder man erschießt sich gegenseitig, oder man redet miteinander. Ich bevorzuge das Gespräch.

Was wäre der richtige Rahmen für die Etablierung eines „Vereinigten Burma“?

Zuerst muß ein Klima des Vertrauens aufgebaut werden. In Burma ist Vertrauen ein Fremdwort. Aber solange es kein Vertrauen gibt, sind effektive Verhandlungen illusionär. Man kann sich zwar an einen gemeinsamen Tisch setzen, doch solange jeder jedem mißtraut, ist es unmöglich, zu einem für alle annehmbaren Ergebnis zu kommen. Wir müssen den Volksgruppen beweisen, daß sie der Regierung trauen können, daß die Regierung ein offenes Ohr für ihre Probleme und Sehnsüchte hat. Dann wird sich der Rahmen von selbst ergeben. Ich glaube, manche Volksgruppe hat schon jetzt feste Vorstellungen, welcher Rahmen für effektive Verhandlungen vonnöten ist. Es ist ebenso möglich, daß ein angemessener Rahmen erst ausgehandelt werden muß. Meines Erachtens ist ein dauerhafter Friede ohne die Mitarbeit der ethnischen Minderheiten unmöglich. Sie müssen unbedingt einbezogen werden.

Was ist ihre Botschaft, wenn Sie jetzt „vor die Massen treten“?

Ich bitte um Unterstützung. Wenn die Menschen mich unterstützen, habe ich die Hoffnung, ihre Ziele zu verwirklichen. Ohne ihre Unterstützung würde ich überhaupt nichts erreichen.

Das Interview wurde von „The Nation“ geführt und von Friedel Krolzig und Ina Zwilling übersetzt