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Ein grüner Schwung auf dem Oberarm

Von schierer handwerklicher Souveränität: David Hockneys Zeichnungen 1954–1994 in Hamburg  ■ Von Michael Rutschky

Ein Theater! Der Referent, an ordentliches journalistisches Handwerk nicht gewöhnt, vermeinte, zum Pressetermin – Donnerstag, 11 Uhr – werde die Ausstellung den ganzen Tag lang nur für seinesgleichen eröffnet, damit man sich, ungestört durch die Publikumsmassen, satt sehe.

Es regnete warm und silbergrau, als er vom Hamburger Hauptbahnhof über den leeren weiten Platz („Plattensee“) zur Kunsthalle eilte, es war 13 Uhr, ihm schwante Böses. Nein, rügte die Frau an der Kasse freundlich, die Pressekonferenz sei längst beendet, die Ausstellung wieder geschlossen, ja.

Ob vielleicht einer der leitenden Herren..., flehte der Referent. Er sei extra aus Berlin, nur für einen Tag... Die freundliche Frau probierte mehrere Telefonnummern.

Sie runzelt mitleidig die Stirn, als wieder niemand abnimmt, ja, die Herren seien alle zu Tisch. Und kehrten gewiß für heute nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurück – aber hier, hier komme unzweifelhaft Dr. Sowieso!

In Eile, in Gesellschaft, „ich habe gar keine Zeit“, schnauzt er den Referenten, einen älteren Herrn, an, und als der mit „ich auch nicht“ antwortet, hilft nur noch die Grobheit, zu der zarte und empfindsame Menschen als Ultima ratio so gern flüchten. „Lassen Sie mich gefälligst sofort zufrieden!“ eilt Dr. Sowieso davon, als wäre der Referent sein Teilpächter, der untertänig der Herrschaft auflauert, die Stundung der Pachtzinsen zu erflehen.

Kommen Sie doch einfach um 19 Uhr, rät die freundliche Frau an der Kasse, zur offiziellen Eröffnung, da kriegen Sie auch den Katalog. Der Referent gibt klein bei. Er tritt aus der düsteren Halle wieder auf die Straße, wo das strahlende Sommerwetter den Regen noch einmal besiegt hat, Finsternis erfüllt ihn. Er fühlt sich nicht aus dem Paradies vertrieben, nein, von vornherein ausgeschlossen.

Glanz des Idealen und flüchtige Dichte

Das Paradies bildet eine Leitkategorie für David Hockneys Werk seit den sechziger Jahren, als er nach Kalifornien ging und daraus in seinen Bildern ein Äquivalent der Côte d'Azur machte, wie die französischen Impressionisten sie malten. „Das Werk wirkt schwierig und zugänglich zugleich“, schrieb der Philosoph und Kunstkritiker Arthur C. Danto anläßlich von Hockneys großer Retrospektive 1988, „wie ein Matisse oder Bonnard von Sonnenlicht durchflutet, das sich in blauen Himmeln und dem einladenden Wasser spiegelt: von Lust und Liebe erfüllt“.

„Two Boys in a Pool, Hollywood“ (1965), „Peter Getting out of Nick's Pool“ (1966), vor allem aber „The Splash“ (1966), „The Little Splash“ (1966) und „A Bigger Splash“ (1967): Die Pool-Bilder aus den Sechzigern haben sich so in unseren Augen festgesetzt, daß es unmöglich wird, bei Besuchen im Freibad, wie dieser schöne Sommer wieder so viele erheischte, der Empfindung sich zu erwehren, „jetzt schwimmst du durch ein Bild von David Hockney“.

Doch nicht nur den Pools, sogar den öderen und ödesten Ansichten des ewig sommerlichen Vorstadtkalifornien vermochte Hockney diesen Schimmer des Paradiesischen zu verleihen. Und nicht nur Kalifornien, auch Japan oder China, das er mit Stephen Spender bereiste; dem Südfrankreich, in dem er sich von seinem Liebsten, Peter Schlesinger, trennte – wie aus fernster Ferne schaut er, dicht am Rande des Bassins stehend, auf den nackten Mann hinab, der unter der Wasseroberfläche und ihrem Glitzern wegtauchend zügig die nächste Bahn ansteuert („Portrait of an Artist/ Pool with Two Figures“, 1971). Sämtliche Personen, die in dieser Bildwelt auftreten, Ossie und Celia, Mo und Gregory, unmöglich zu vergessen Mom und Dad und die Dackel Stanley und Boogie sowie Henry Geldzahler, der immer ein wenig Henri Matisse höchstselbst zu vertreten scheint und von dem wir 1994 Porträts auf dem Sterbebett sehen müssen: Sie scheinen einer idealen Gesellschaft anzugehören, der Gesellschaft der Engel, bloß weil David Hockney sie gemalt und gezeichnet hat.

Mag sein, daß dieser Glanz des Idealen, der Antike irgendwie mit der homosexuellen Ikonographie zusammenhängt, an deren Veröffentlichung David Hockney seit Beginn seiner Karriere so tüchtig mitarbeitet. Aber ich komme ab.

Er war da, abends bei der Eröffnung, ein dicklicher Mann von beinahe 60, freundlich und mit Strohhut, der Kollege Scheel hat ihn ausführlich im TV gesehen, „der Kulturquatsch am Ende der ,Tagesthemen‘“.

Tout Hambourg füllte das Treppenhaus, die Eröffnungsreden dröhnten. Da war ich noch im Katalograum und schaute, nachdem ich mir meinen gesichert hatte, den Damen zu, die eifrig das Ausstellungsplakat erwarben, verschiedene farbige Kreiden, „Celia Wearing Checked Sleeves“ (1973). Wo es jetzt alles angepinnt sein mag und wie viele Damen sich, das Plakat betrachtend, immer wieder darein verwandeln möchten: Allein der grüne Schwung auf dem Oberarm kann ein ganzes Leben rechtfertigen ... während ich mich gern in Yves-Marie Hervé transsubstantiiert sähe, „Il pleut sur le Pont des Arts“ (1973), gleichfalls farbige Kreiden, die dem Mann, wie er nach links in eine sich auflösende Weiße ausschreitet, nur flüchtig Dichte verleihen.

Porträts, voll von Picassos Tricks

David Hockneys zeichnerische Fähigkeiten sind legendär. 1962 erhielt er zum Abschluß seiner Ausbildung am Royal College of Art extra eine Goldmedaille dafür. Daß er, als keiner der Kollegen danach greift, mit der feinen Stahlfeder arbeitet – bei zahlreichen seiner berühmtesten Porträts –, dann sogar mit der Rohrfeder, die große Eile erfordert, weil die Tusche gleich eintrocknet – solche schieren Handwerkstriumphe sind ihm kostbar.

„The Artist's Mother“ (1972), die alte Dame sitzt mit locker gefalteten Händen auf dem flüchtig skizzierten Korbstuhl – aber das schwarze Kleid mit den weißen Punkten wurde so sorgsam ausgearbeitet, daß du statt Papier und Kreide tatsächlich die Seide zu sehen vermeinst, wenn du ganz nah herangehst. „Hat er die weißen Punkte eigentlich aufgesetzt?“ fragte eine junge Frau kennerisch ihre Freundin, als wir zu dritt davor standen, „oder ausgespart?“ Sie kommt noch näher. „Nein, wirklich ausgespart – was das für Arbeit macht!“

Wenn sie schiere handwerkliche Souveränität abbilden, teilen Hockneys Zeichnungen auch immer noch die bewundernden Blicke von Eltern, Lehrern, Freunden mit, die dem jungen Mann über die Schulter schauten und seine Kunstfertigkeit bestaunten. Diese fixierte Bewunderung erkenne ich vor allem in Hockneys Neigung, gewisse Details fetischistisch in Richtung Trompe l'÷il auszuarbeiten, während das große Ganze Umriß bleibt, das schwarze Seidenkleid mit den weißen Punkten, der grüne Schwung am Oberarm von Celia Birtwell, die Bartstoppeln von Peter Schlesinger, das leckere Hinterteil von Bob, Bleistift und farbige Kreide (1965), Verbleib unbekannt.

„Er ist eben keiner von diesen introvertierten Amerikanern“, bemerkte ein männliches Mitglied von tout Hambourg selbstzufrieden gegen ein anderes, als wir vor „Andy, Paris 1974“, farbige Kreide, haltmachten, „sondern ein handfester Engländer.“ Zeichnen, naturalistisches Zeichnen, hat Hockney verlautbart, verleihe ein „enormes Selbstvertrauen, dann weiß man, was man macht, weiß besser, worauf man eigentlich schaut, und weiß auch, wie man damit fertig werden kann“.

Obacht. Die Hamburger Retrospektive beginnt – nach den bewunderten Schülerzeichnungen – mit jener verkritzelten Art brut, die in den Gemälden „Doll Boy“ (1960/61) und „The Most Beautiful Boy in the World“ (1961) Hockneys frühen Ruhm als Pop-Artist begründete, und sie endet zwar wieder mit großformatigen Porträts, aber kurz davor haben wir die gebirgig-skulpturalen „Views of the Sea“ (1988) zu betrachten, denen Hockney ihre endgültige Fassung verlieh, indem er sie durch ein Faxgerät schickte. „Das gibt mir nichts“, verlautbarte eine Dame und eilte weiter. Daß die großformatigen Porträts voll sind von Picassos Tricks, überall seine Augen haben, wird ihr entgangen sein, sie verspürte nur eine gewisse Bodenlosigkeit.

Obwohl er manisch weiterzeichnete, will ich sagen, wenn ihm das Malen aus konzeptionellen Gründen unmöglich wurde, hat David Hockney seine Zeichnungen mit zahlreichen Bauelementen der selbstreflexiven Moderne ausgestattet – in den weißen Flecken von Mutters Seidenkleid erscheint dann doch das Papier –, die auch den trainierten Connaisseur inmitten der genießerischen Massen erfreuen, die Hockneys Kunst schon immer angezogen hat.

David Hockney: „Zeichnungen 1954 bis 1994. A Drawing Retrospective“. Hamburger Kunsthalle bis 2. Oktober. Katalog 39,50 DM.

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