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Press-SchlagRächer der Getretenen

■ Die wundersame Metamorphose des Bundesliga-Trainers Otto Rehhagel

Irgend etwas muß hängengeblieben sein von dieser Szene vor vierzehn Jahren, als Otto Rehhagel seine Rumpelstilzchenaufführung im Weserstadion plötzlich unterbrach und ziemlich fassungslos einen aufgeschlitzten Oberschenkel anstarrte. Dessen Inhaber, der Mönchengladbacher Linksaußen Ewald Lienen, beschimpfte den Trainer von Werder Bremen derweil aus voller Kehle, so als habe dieser selbst ihm die klaffende Wunde zugefügt. Genauso sei es auch gewesen, behauptete Lienen. Verletzt habe ihn zwar eine rüder Fußtritt des Bremer Abwehrunholds Norbert Siegmann, aber erst als ihn dessen Coach von der Seitenlinie kategorisch aufgefordert habe, doch mal richtig zur Sache zu gehen. Damals fand Rehhagel seine Fassung bemerkenswert schnell wieder und wies noch im Angesicht der blutigen Muskelmasse alle Vorwürfe weit von sich.

Aber etwas muß hängengeblieben sein. Und jetzt, nach all den Jahren, dringt es unaufhaltsam zur Oberfläche. Otto Rehhagel, der zu Siegmanns Zeiten nach eigenen Wort gerade mal die „mittlere Reife“ als Fußballtrainer erlangt hatte, hat sich inzwischen zum großen bayrischen Fußballweisen gemausert und schwingt sich plötzlich zum Rächer der Getretenen auf. Der Getretenen seiner eigenen Mannschaft vorzugsweise, was ihm um so leichter fällt, als er keine Klopper wie Borowka, Votava oder Eilts mehr im Team hat, sondern Spieler, die in punkto Gewalt eher als Opfer denn Täter in Erscheinung treten. Es war bereits der dritte Amoklauf, den Rehhagel als Bayern-Trainer im Dienste der Gesundheit seiner Spieler unternahm, wobei ihm die körperliche Unversehrtheit des Angestellten Mehmet Scholl allerdings eindeutig weniger am Herzen lag. Als der sich seinem wutschnaubenden Coach im Spiel gegen den HSV mannhaft in den Weg stellte, räumte ihn dieser mit jener Brachialität beiseite, die ihn schon charakterisiert hatte, als er noch das Trikot von Hertha BSC oder dem 1. FC Kaiserslautern trug. Der Mythos, Rehhagel habe damals hart, aber fair gespielt, entstand erst rund zwanzig Jahre später.

Heute hingegen glänzt Otto Rehhagel als Apostel der Fairneß. „Wenn den Spielern die Achillessehnen abgetreten werden, schickt man die Trainer auf die Tribüne“, wetterte er, nachdem Schiedsrichter Klaus Merk ihn im mit 1:0 gewonnenen DFB-Pokalspiel bei den Stuttgarter Kickers auf die Tribüne des Neckarstadions geschickt hatte. Zuvor hatte der Stuttgarter Farh Bayerns Witeczek zwar nicht gerade die Achillessehne abgetreten, war ihm aber doch in äußerst ungestümer Manier auf die Wade getappt, so daß Rehhagels Wutausbruch durchaus nachvollziehbar war. „Spielt wie in der Regionalliga“, hatte Kickers-Trainer Wolf seinen Mannen gesagt, und das beinhaltete eben nicht nur, daß diese das Multi-Millionen-Team ausspielten, als handle es sich um Wacker Burghausen, sondern auch emsigen Gebrauch von der Sense machten. Einmal fiel das selbst Schiedsrichter Merk auf, und er stellte Hofacker nach einer Hinterhaltsattacke gegen Scholl vom Platz, ansonsten begnügte sich der pfeifende Zahnarzt damit, beidseitig Elfmeter an Papin und Sailer zu übersehen.

„Das war schwach von Herrn Merk“, beurteilte Rehhagel die Leistung des Referees, und er zögerte nicht, ihm dies umgehend aus solcher Nähe mitzuteilen, daß Herr Merk nach Beobachtung der Süddeutschen Zeitung „die Goldkronen in Rehhagels Mund“ hätte zählen können. Doch damit wollte sich der Schiedsrichter nicht zufrieden geben. Er habe es satt, daß die Trainer ihre Wut stets an den Unparteiischen ausließen, sagte er und sandte ein Beschwerdefax an den DFB. Wegen „Aufwiegelung der Massen“ soll sich Rehhagel verantworten, forderte Merk, „manche Trainer wissen gar nicht, was sie mit ihrem Verhalten anrichten“.

Welch eine verkehrte Welt! Da wandelt sich einer der größten Praktiker und Theoretiker aus der Gilde der Propagandisten „gesunder Härte“ plötzlich vom holzenden Saulus zum sanften Otto – schon soll er vors Sportgericht. Ewald Lienen dürfte Bauklötze staunen. Matti Lieske

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