„Sie will man auch zurückschieben?"

Die SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin besuchte eingesperrte AsylbewerberInnen aus dem Sudan und aus Eritrea auf dem Frankfurter Flughafen. „Das ist ja eine Tragödie!“  ■ Aus Frankfurt am Main Heide Platen

In den eng verschachtelten Irrgängen unter niedrigen Decken ließen sich Ratten konditionieren. Ecken, Winkel, Sperren, Wachen, schmale Stahltüren stoppen den Besucherstrom. Es ist heiß, stickig und, findet die Bundestagsabgeordnete und SPD-Bundesvorständlerin Herta Däubler-Gmelin nach Augenschein, „einfach menschenunwürdig“. Mit einem forschen „Packet mers!“ hatte sie sich am Montag abend auf den Weg gemacht, die sieben im Gebäude C 182 auf dem Frankfurter Flughafen internierten Sudanesen zu besuchen, die am Wochenende ihren spektakulären dreiwöchigen Hungerstreik abgebrochen hatten.

Die Männer hocken auf ihren Stockbetten, keiner über 30 Jahre alt, junge Gesichter, hagere nackte Füße unter braunen Wolldecken. Vier von ihnen sitzen eng aneinandergedrängt auf einer Bettkante, verschwinden fast in zu weiten Mänteln und Jacken. Einer von ihnen war vom Bundesgrenzschutz (BGS) schon dreimal in ein Flugzeug nach Khartum gesetzt und jedesmal nach Gerichtsentscheidungen in letzter Minute wieder herausgeholt worden. Das letzte Mal ist er mit Gewalt vom Bett gezerrt worden und hat sich am Drahtrost verletzt. Er zeigt nicht mehr die Narben der Folter in seinem Heimatland, sondern die neuen, die ihm hier zugefügt wurden und die tiefer gehen, als es die vernarbten Schrammen ahnen lassen.

Der Mann schluchzt, während er die malträtierten Arme ausstreckt und die Hände vors Gesicht schlägt, um seine Tränen zu verbergen. Sein Nachbar nimmt ihn beruhigend an der Schulter. Der Psychologe Ibrahim Idris versucht zu erklären, daß die Behandlung, die die Männer in Deutschland erfahren haben, sich in ihrem Bewußtsein nur schwer von den Schrecken trennen läßt, die sie im Sudan erlebten. Die Polizeigewalt von hier mischt sich mit den Erinnerungen an die Folter von dort.

Däubler-Gmelin geht von Bett zu Bett, beugt sich mit ihrer imponierenden Körpergröße auf Gesichtshöhe herab, fragt nach, will Einzelschicksale wissen. So erfährt sie von verhafteten Vätern und Brüdern, den von sudanischen Sicherheitskräften drangsalierten Familien, von Gefängnis, Angst und Terror. Einer sollte den Bruder verraten, ein anderer ist wegen des Verteilens von Flugblättern gefoltert worden. In der Stimme der Politikerin klingt ungläubige Empörung mit: „Und Sie sollten auch zurückgeschoben werden?“ Einer ist an Deutschland verzweifelt: „Sie haben uns hier abgelehnt. Im Sudan werden wir sicher sterben.“

Ob sie sich erholen können, „wieder Kräfte sammeln“, fragt Herta Däubler-Gmelin. Sie essen wieder, sagt Pfarrer Hippler vom Flughafen-Sozialdienst, aber sie können nicht abschalten. Auch nicht während der Gnadenfrist bis zur kommenden Woche, die das Bundesverfassungsgericht in einer Eilentscheidung eingeräumt hatte. Während des Hungerstreiks hat Hippler die Nacht vor dem letzten Abschiebeversuch bei ihnen verbracht. Jede Stunde kam ein BGS- Beamter, „das ist eine Anordnung“, zur Kontrolle in den Raum: „Die haben jedesmal gedacht, jetzt werden sie abgeholt.“ Hippler: „Das war fast wie Psychoterror.“ Was sie sich wünschen? „Gerechtigkeit!“ sagt einer. Sein Nachbar schüttelt den Kopf: „Wie sollen wir Ruhe finden, wenn uns im Sudan der Tod erwartet? Wir können nicht schlafen.“

Alle sieben haben sich Deutschland als Fluchtland nicht ausgesucht, sondern sind hierhin verschlagen worden. Sie würden jederzeit auch in ein anderes Land gehen wollen, „nur nicht zurück in den Sudan“. Mehr als auf die Politik hoffen sie auf das Verfassungsgericht und die Hilfe der Kirchen.

Im Gedränge durch die Gänge spielt sich anschließend eine kafkaeske Szene ab, als sich herausstellt, daß die Politikerin nicht mit den fünf jungen Frauen aus Sri Lanka reden kann, weil niemand deren Sprache versteht. Sie geht weiter, flüchtet sich angesichts der Tristesse ins praktische Menscheln: „Saget Sie mal, was machet die Leut den ganzen Tag hier? Habet die denn wenigstens was zu lese?“

Und was geschieht mit dem 21jährigen Eritreer, den die Flucht um die ganze Welt bis zu den Philippinen getrieben hatte? Er hat keine Papiere und will eigentlich nichts, nur endlich nach Hause. Schon dreimal setzten ihn die Frankfurter in ein Flugzeug, erst in eines nach Äthiopien, dann in eins nach Eritrea, dann wieder nach Äthiopien. Jedesmal wurde er dort zurückgeschoben.

Eine junge Frau und ein Mann teilen dies Schicksal. Hippler: „Das zum Thema der angeblich absichtlich weggeworfenen Papiere!“ Däubler-Gmelin beugt sich noch weiter vor, verschränkt die Hände auf dem Rücken: „Das ist ja eine Tragödie!“

Hinter einer undurchdringlichen Tür sitzen die Entscheider des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, nur im Funkverkehr kann man zu ihnen durchdringen. Die Entscheider müssen hier auf exterritorialem Gebiet die Asylanträge eilabwickeln. Sie wollen nicht gefilmt werden. Dann, entscheidet die Abgeordnete, wird sie heute auch nicht mit ihnen reden, sondern einen späteren Termin vereinbaren. Während der Wartezeit übt sie mit einem iranischen Jungen Rechnen: „Fünf und fünf ist zehn, mal hundert ist...?“ Der Junge will Pilot werden.

Zur abschließenden Pressekonferenz wiederholt Herta Däubler-Gmelin ihre schon am Vortag gestellten vier Forderungen zur Überprüfung des Asylkompromisses, „dem ich nicht zugestimmt habe“: Die Fristen für die Prüfung der Asylanträge am Flughafen seien zu kurz, die Abschiebehaft und ihre Bedingungen unmenschlich, die Drittstaatenregelung müsse überarbeitet und Bürgerkriegsflüchtlingen begrenztes Aufenthaltsrecht gewährt werden.

„Aber“, schreibt sie ihre Position fest, „es können nicht alle bleiben.“ Und verabschiedet sich mit einem herzhaften: „Ade! Ich komme schon bald wieder!“ Währenddessen sinnt Caritas-Direktor Hejo Manderscheid über Sinn und Unsinn einer psychosozialen Betreuung nach. „Das hält doch hier kein Mensch aus.“