Ein Kopf hat entschieden

■ Bode verhalf Werder mit dem zweitedelsten Körperteil zu drei Punkten

In lockerer Folge berichten bei uns Gastautoren aus der Medienbranche über Werders Höhen- und Tiefflüge – heute der Radio-Bremen-Moderator Ottmar Willi Weber (Owi).

Am vorletzten Spieltag der vergangenen Saison offenbarte Werder dem Fußballkundigen: Dieses Team ist zu müde für die Meisterschaft. Das mühsame 2:1 gegen 10 Karlsruher ließ den Abschied von Trainer Rehhagel und der angepeilten Meisterschaft leichter werden. Das Heimspiel Nummer zwei in dieser 95/96er Saison offenbarte, daß 10 Profis und ein unheilschwangeres Fußballgenie keine Garantie für ein dauerhaftes Erfolgsteam sind.

Das „schreckliche Kind“ hat Werder die letzten beiden Jahre über die eigentlich vorhandenen Fähigkeiten hinaus stark gemacht, doch findet sich nicht bald ein Mittel zur Behandlung seiner spätpubertären Persönlichkeitsstruktur, dann wird dieses Werder Team durch unbehandelte Kinderkrankheit langwährenden Schaden davontragen.

Fußball kann man mit den Beinen und mit dem Kopf spielen. Der mit den Beinen spielt, beeindruckte mit zwei unglaublichen 35-Meter-Freistößen, demonstrierte auf der Jagd nach dem verlorenen Ball, wie schnell er sein kann, wenn er will und bei der Rasendiskussion mit KSC-Trainer Winfried „Winnie“ Schäfer („Was willst Du denn? Was willst du denn, du Penner!?!“), zeigte sich erneut, daß beim „Bein-Fußballer“ die kleinbürgerliche Erziehungsarbeit wenig Wirkung hinterlassen hat.

Das könnte einem sogar sympathisch sein, wenn der Begabte nicht mit seiner Körperhaltung, Gestik und Mimik Freund und Feind zu verstehen gäbe, daß er nur sich selbst und sonst Nichts auf der Welt respektiert.

Der mit dem Kopf spielt und bis auf eine gelbe Karte beim Pokalspiel gegen die Bayern-Amateure den Feind respektiert, entschied dieses mittelklassige Bundesligaspiel durch einen schulmäßig angesetzten Kopfball in der 57. Minute und durch 90minütige intelligente Offensivarbeit über die linke Seite. Zwar keine ideologische Standortbestimmung, aber für den Zuschauer ein Hinweis darauf, daß Fußball mit Hirn noch schöner und dazu erfolgreich sein kann. Daß das Hirn wesentliche Voraussetzung für die Beherrschung der Viererkette ist, ist unumstritten; daß Werder noch sichtbare Probleme mit der Viererkette hat, daraus soll jeder seine eigenen Schlüsse ziehen.

Die Karlsruher Stürmer Wück und Knup taten dies und brachten vor allem in der ersten Halbzeit Werders einst solidesten Mannschaftsteil mit simplem Direktspiel ins Wanken.

In der Abwehr hatte Karlsruhe auf das Borowka-Gegenstück Wittwer verzichtet und präsentierte sich mit Metz, Reich, Schuster und Tarnat (persönlicher Betreuer des Bremer Bein-Fußballers) kompakter und kompromißloser als gegen Bayern München. Dies wurde Ihnen durch Bremens Schwachpunkt, sprich Sturm, relativ leicht gemacht. Hobsch, zu langsam und unbeweglich, und Bestschastnych, eifrig, aber ohne Plan (und das als Russe!), machten dem filigranen Verteiler Cardoso das Anspiel schwer. Und im Vergleich mit den konkurrierenden Spitzenteams Bayern (Zickler, Papin, Klinsmann, Kostadinov), Dortmund (Sosa, Ricken, Chapuisat, Riedle, Herrlich),

Leverkusen (Völler, Kirsten, Sergio) oder Kaiserslautern (Kuka, Marschall), tritt hier Bremens größtes Problem zu Tage, da sollten auch die drei Hobsch-Treffer der

ersten beiden Spieltage nicht drüber hinwegtäuschen. Mit diesem Werder-Angriff kann man sehr gut in die Bundesliga aufsteigen, aber wohl kaum um die Meisterschaft mitspielen.

Und sollte sich das Präsidium, mitsamt seinem ausführenden Organ Willi Lemke, ans kaufmännische Prinzip „Genie hin, Geld her“ halten und den einzigen Überraschungsmomentlieferanten verkaufen, dann wäre Werder ein Grünweißer Drache, dem, beim Versuch Angriffsfeuer zu speien, nur heiße Luft entströmen würde. Ob Cardoso und Bode allein die Heizung wieder anwerfen könnten, das muß Trainer Aad de Mos richten, der nach beherztem Verzicht auf das Alterspräsidium Votava, Schulz, Neubarth, Borowka, für kurze Zeit Werders Grundschnelligkeit erhöhte, beim Spiel gegen den KSC aber bereits wieder die Versöhnung mit dem „uuuuuulliiiieh-süchtigen“ Publikum suchte. Am Ende der Partie stand der gesamte Werder-Oldie-Block auf dem Platz: Der immer noch strapazierbare Votava (39 Jahre), der ungehobelte Schulz (wird am Sonntag 34) der knuddelige Borowka (33 Jahre) und der leicht ungelenk wirkende Neubarth (33 Jahre). Aad de Mos' Begründung: „Jetzt

gibt's keinen Schönheitspreis. Drei Punkte sind wichtig.

Ob es den Schönheitspreis in Zukunft gibt?

Das Personal ist vorhanden: Baiano, Cardoso, Ramzy. Und wenn die in Schönheit zu sterben drohen, dann kann ja der mit den Ohren rettungswillig heranrauschen und ostfriesisch cool fragen: eilt's? Owi