Im Wortlaut: Mein Sohn ist Millionär
■ Täglich kommt Kurt Wolter von der Villa in Kleinmachnow zum Kotti und guckt
Dicke Brille mit kleinen Augen dahinter. Schwarze Seemannsmütze und weißer Rauschebart, in dem eine lange Pfeife steckt. Ein Plastikkrückstock und immer eine Büchse Bier in Reichweite. Der 80jährige Kurt Wolter sitzt seit Jahren am Kotti und guckt. Fünf Stunden lang, jeden Tag.
Mir geht's gut, ich bin froh, und ich weiß auch, wieso. Ich bin jetzt achtzig Jahre und lustig und fidel. Vor einem Jahr um diese Zeit lag ich mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus. Das hat sich dann so gebessert, daß mir nun das Bier auch wieder schmeckt.
Ich komme jeden Tag von Kleinmachnow hierher. Erst höre ich morgens von fünf Uhr an bis halb zwölf zu Hause den Deutschlandfunk. Ein alter Mensch kann ja sowieso nur sechs Stunden schlafen. Um eins bin ich dann nach einer Stunde Fahrzeit immer hier. Hier in der Straße gefällt mir einfach alles. Da an der Ecke am Kotti ist so ein Durcheinander. Mit denen habe ich nichts zu tun. Deshalb sitze ich ein Ende weg. Damit die Leute nicht denken, daß ich auch was haben will.
Die schönen Menschen beachte ich, die weniger Schönen schnorren mich an. Ich habe viele Schöne kennengelernt. Aber auch Ungeheuer, die mir die Gedärme aus dem Leib reißen wollten. Ich schaue mir vor allen Dingen die schönen Damen an. Dann denke ich, so eine schöne Jugend möchte ich auch gehabt haben. In meiner Jugend war Arbeit angesagt, und ich bin Musiker geworden. Ich bin nicht so ein dolles Talent, also Durchschnitt.
Ich habe mein ganzes Leben lang Musik gemacht, sonst wäre ich ja nie durch den Krieg gekommen. Beim Kommiß hab' ich Posaune geblasen, nach dem Krieg hab' ich mein Geld mit dem Akkordeon verdient.
Gleich nach dem Krieg wurde ich in der DDR Neulehrer. Vier Jahre lang habe ich mich mit den Landeskindern rumgeplagt. Als ich gesehen habe, daß in Wismar die Musikanten auch nicht verhungern, hab' ich gesagt, laß andere Leute sich mit den Kindern rumplagen.
Ich bin immer so ein freischwebender Künstler gewesen, hauptsächlich auf dem Schiff. Der Kapitän mußte immer aufpassen, daß ich dabei nicht über Bord ging. Bis vor zwei Jahren habe ich in der S-Bahn Musik gemacht. Das ist lang genug.
Meine Frau ist vor dreißig Jahren gestorben. Gleich nach ihrem Tod habe ich mich in eine Bardame in Wismar verliebt, die sich in acht Jahren totsoff. Dann habe ich angefangen, mit jungen Frauen zu poussieren, die aber noch mehr gesoffen haben. Jetzt lebe ich bei meinem Sohn in Kleinmachnow. Der Boden dort hat vielleicht viel Geld gekostet.
Er ist jetzt Millionär geworden. Wenn man so zu feinen Leuten kommt, traut man sich gar nicht so richtig rein. Mit Schuhen darf man sowieso nicht. Ich habe dort das kleinste Kinderzimmer von sechs Quadratmetern. Aber ich bin froh. Wenn ich dann so gegen fünf Uhr nachmittags nach Hause komme, lege ich mich auf meine vier Buchstaben und höre noch, was passiert, wegen Jugoslawien und so. Aufgeschrieben und fotografiert
von Barbara Bollwahn
wird fortgesetzt
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