Sind so kleine Steinchen

■ Das Tempodrom wartet nicht auf den Versorgerstaat – Vom Steineverkauf, Rundflügen und „Corporate friends“

Heute abend steht die vierte Steinreich-Party ins Haus, pardon: ins Zelt des Tempodroms. Heute kann man für den geplanten Umzug in den Öko-Neubau am Anhalter Bahnhof symbolisch und gewinnträchtig also wieder einen Stein reichen. Klinkersteine, die – zum Soli-Preis von einhundert Mark pro Stück – einen Teil der Kosten des „multifunktionalen Veranstaltungsbaus“ für 15 Millionen Mark abdecken sollen.

1.550 Steine stapeln sich schon im Tempodrom. Sie werden – jeder mit den Namen der KäuferInnen versehen und/oder kreativ bamalt – den späteren Eingangsbereich des Hauses schmücken. Die Palette der Motive reicht vom Indianerzelt bis zu nackten Frau, die kein Brummi-Fahrer, sondern eine Künstlerin entworfen hat. Auf jeder Steinreich-Party werden die schönsten Steine mit einem Rundflug über Berlin prämiert, der den Umzug des Tempodroms im Wortsinn überschaubar werden läßt.

Edelbert Schaffert, der verantwortliche Akustiker für den Tempodrom-Neubau und berufsbedingter Vielflieger, ist Besitzer einer einmotorigen Piper Malibou. Mit dieser Propellermaschine und mit Schaffert als Pilot finden die Berlin-Rundflüge statt.

Am letzten Samstag war es dann für die ersten elf GewinnerInnen soweit. Sie hatten sich am Flughafen Schönefeld eingefunden. Die Malibou stand auf dem Rollfeld bereit. Leider hatte sich ausgerechnet an diesem Tag der Himmel über Berlin zugezogen, wo er doch wochenlang nichts als blau gewesen war. Für den Piloten hieß dies, möglichst tief unter den Wolken zu bleiben, die PassagierInnen sollten sich auf Luftturbulenzen einstellen. Vorsichtshalber wurden kleine Papiertüten mit an Bord genommen.

Über den Wannsee ging es nach Berlin. Wir sahen das Messegelände mit zu Ameisen geschrumpften IFA-Besuchern. Dann flogen wir über die Zelte des Tempodroms, große, grüne Schirme neben einer muschelkleinen „Schwangeren Auster“. Nur einen Augenblick dauerte es bis zum Anhalter Bahnhof, eine der vielen Leerstellen im Stadtbild Berlins, über deren Bebauung gestritten wird. Nach einer halben Stunde war – wie im Flug – alles vorbei. Die Tüten wurden nicht gebraucht.

Der Freiflug über Berlin, mit dem das Akustik-Unternehmen Edelbert Schafferts die Kulturveranstalterin unterstützt, ist ein Beispiel des neuen Managementkonzepts, das Tempodrom-Chefin Irene Mössinger anschließend in der Bodenstation erläutert: „Die Mentalität, auf einen Versorgerstaat zu warten, gibt es eigentlich nur in Deutschland.“ Doch damit sei es jetzt vorbei. Eigeninitiative sei gefragt – und deshalb wolle man sich stärker als bisher für das kuturelle Engagement von Unternehmen öffnen. „Corporate friends“ aus der Wirtschaft sollen sich mit steuerlich absetzbaren Spenden von mindestens 5.000 Mark im Jahr an der Finanzierung des Neubaus beteiligen. Dafür dürfe sich jedes Partnerunternehmen dort in Form eines „goldenen Bausteins“ verewigen. Einmal im Jahr sollen dann die FreundInnen aus der Wirtschaft zu einem „exklusiven Event“ eingeladen werden.

„Pate des Tempodroms“ darf sich nennen, wer einmalig hunderttausend Mark beisteuert: Mit den PatInnen, so heißt es im Finanzierungsmodell, soll „individuell abgesprochen werden, in welcher Weise ihr Name in das Areal des Tempodroms integriert werden kann“. Sechs Millionen Mark sollen damit zusätzlich zu der Steinreich-Aktion zusammenkommen.

„Ein Versuch“, sagt Irene Mössinger, dessen Erfolg in erster Linie vom zahlreichen Erscheinen des Publikums abhängen wird. „Ins Tempodrom können alle kommen, die Chaos-Szene wie die hohe Kultur“, sagt die Chefin. Und da kaum anzunehmen ist, daß sich dies im Neubau ändern wird, ist ein kleiner Werbestein an solchem Ort doch ein Schnäppchen – oder? Joachim Grunwald

4. Steinreich-Party mit Trio Blamage, The Waltons u.a., heute 20 Uhr, Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten