Tische oder Tiefkühlhähnchen

Die Choreographin Sasha Waltz wird als bedeutendstes Nachwuchstalent gefeiert. Ihr neuestes Stück „Travelogue III“ markiert einen Endpunkt der bisherigen Arbeit  ■ Von Michaela Schlagenwerth

Sie liebt Buñuel, Magritte, Hollywood-Glamour und Stummfilm- Klassiker. Durch ihre Stücke wuseln ebenso zerstreute wie hektisch zuckende Menschen. Kaffeekannen, Nähmaschinen oder auch Beine, die hinter Wänden und Schränken hervorlugen, entwickeln ein groteskes Eigenleben, und die Dramen des Lebens spielen sich in Küche, Bad, Bar oder Schlafzimmer ab.

Vor fünf Jahren kam die 1963 in Karlsruhe geborene Choreographin Sasha Waltz nach Berlin, und seit sie sich vor zwei Jahren mit „Twenty to eight“, dem ersten Teil einer geplanten „Travelogue“-Trilogie, auf „eine Reise durch Räume des Alltags“ begab, ist sie selber fast nur noch unterwegs. Manchen gilt sie als vielversprechendste Tanz-Nachwuchskünstlerin, und mit ihrem Küchendramolett und ihrer Truppe Sasha Waltz & Guests war sie inzwischen in Prag, London, Amsterdam, New York und Los Angeles zu sehen.

Daß es sich bei all dem um keinen Glückstreffer handelt, hat die Choreographin mit den nachfolgenden Stücken, dem Tanzkrimi in Bad und Bar, „Tears break fast“, und dem jüngst im Theater am Halleschen Ufer uraufgeführten letzten Teil der Trilogie, der Hotelzimmer-Groteske „All ways six steps“, längst bewiesen.

„Mit ,Twenty to eight‘“, sagt die Choreographin, „hat sich meine eigene, spezielle Form zum ersten Mal richtig herauskristallisiert.“ Aber mit dem Tanzen hat sie schon als Fünfjährige begonnen. Das war bei der Wigman-Schülerin Waltraud Kornhaas. Barfuß wurde getanzt, statt Technik-Unterricht wurde viel improvisiert – das hat „geprägt“. Sich „einfach ins Studio zu begeben, um Bewegungen zu machen“, findet Waltz heute noch langweilig. Das hat auch in Paris nicht geklappt, wo sie mit ihrem langjährigen Partner Nasser Martin-Gousset ratlos in so einem leeren, verspiegelten Saal hockte und die Arbeit erst in die Gänge kam, als man die Proben ins Hotelzimmer verlegte.

Sasha Waltz' Stücke leben von der Reibung mit den banalen Dingen des Alltags, von Experimenten mit Objekten und Requisiten, mit Tischen oder Tiefkühlhähnchen. Die Tücken des Objekts führen zu aberwitzigen Momenten, in denen die Körper verdinglicht und die Gegenstände lebendig werden: eine wilde Mixtur, die Chaplin mit Karl Valentin, mit Buñuel, Magritte und dem eigenen Leben in der Berliner Szene kreuzt.

In „All ways six steps“ steht jetzt das Pariser Hotelzimmer als stilisierter Nachbau auf der Bühne. Zweieinhalb Meter über dem Boden erhoben, sich nach hinten verengend. Mit Bett und Schrank, Nachtschränkchen und riesigem Teddybär: eine Puppenstube. Zum Tanzen bleibt kaum Platz. Der findet unten statt, auf dem „Hof“. Oben spazieren die Menschen durch die Tür herein und durch den Schrank wieder hinaus, sie kriechen aus dem Boden und steigen über die Wand.

Die Szenen sind lose aneinandergefügt. Es gibt keine Charaktere mehr, keine Geschichten. Nur eine Geschichte der Dinge, eine Reise der Möbel, die -zigfach den Raum durchkreuzen und am Ende von der Wand herunterhängen, auf dem Kopf stehen oder verschwunden sind. Die Menschen, die durch das Geschehen ruckeln, erinnern eher an Marionetten als an Stummfilmfiguren. Nur kurzzeitig hinterlassen sie Spuren im Raum.

„Das Stück funktioniert wie ein Gedankenstrom, wie ein Traum, in dem sich alles durchdringt“, sagt Sasha Waltz. Wer den Traum träumt, ist nicht auszumachen. Eine reale Ebene gibt es nicht. Der schwarze Sänger Mola Sylla wandert, afrikanische Stammeslieder singend, durch das Geschehen. Tristan Honsinger, der auch schon für die vorherigen Stücke die Musik komponierte, entlockt seinem Cello Blues-Töne. Takako Suzuki wandert über Flaschen, und Bo Madvig balanciert sie in seinem T- Shirt. Cécile Mertens veranstaltet bei dem Versuch, sich einzurichten, heilloses Chaos, und Nasser Martin-Gousset klappt Sasha Waltz gleich mit dem Bett gegen die Wand.

Das Schlafzimmer, eigentlich intimer Schutzraum, ist im Hotel zugleich öffentlich – bloß Durchgangsstation für Menschen und grausame, harmlose, armselige Geschichten. Nur die Möbel sind konstante Bewohner. In „All ways six steps“ sind am Ende die Musiker im Bühnenbild eingesperrt, die Tänzer verschwunden, die Möbel befinden sich in totaler Schräglage. Nichts geht mehr, der Endpunkt der Travelogues ist erreicht. Jetzt kommt etwas Neues. Eine neue Arbeit und neue Guests.

Travelogue III“, bis 3.9., 21 Uhr, Theater am Halleschen Ufer (32), Kreuzberg.