Vier Stichproben Von Viola Roggenkamp

Im Theater eine Frau im Gespräch mit anderen Männern. Sie darf die ganze Bühne einnehmen mit ihren Gästen, denn sie soll eine Talk- Show machen. Davon kann es offenbar nicht genug geben. Hier nun aber so live, wie es liver gar nicht geht. Mit richtigen Menschen. Nicht bloß zweidimensional auf der Mattscheibe. Die Journalistin ist erfolgreich und jung. Sie hat Karriere gemacht. Schön. Sie ist tüchtig und gut geschminkt. Sie spricht drei Sprachen und hat das Idealgewicht. Sie ist versiert, bestens geschult und gehört zu den Frauen, die es total peinlich finden, daß ich mich über ihre Sprache aufrege.

Ihr erster Gast ist ein Sportler. Als zweiter Gast ist ein jugendlicher Neonazi angekündigt. Danach ein Popsänger und ein Pastor. Ob ich es so lange aushalten werde, weiß ich jetzt noch nicht. Vier Stichproben aus der Männergesellschaft. Das verspricht, ein spannender Abend zu werden.

„Macht es sie eifersüchtig“, fragt die Journalistin den Sportler, „wenn Ihr Partner fremdgeht?“ Der Mann lacht verlegen auf. Dann schweigt er und überlegt. Wir auch. Ist er schwul? Warum nicht? Wir sind das Publikum. Wir sind tolerant. Andererseits. Wir wissen ja, daß Männer in sprachlichen Zusammenhängen sehr gern und wie selbstverständlich die weibliche Rolle einnehmen: der Partner – die Frau. Gerade dann, wenn sie streng heterosexuell sind. Ist das nicht eigentlich immer wieder überraschend? Und daß die Frau in ihrer freien Rede als auch auf dem Papier oft lieber als Mann daherkommt?

Inzwischen ist der Mann auf der Bühne mit Nachdenken fertig und antwortet recht flüssig: „Mein Partner betrügt mich nicht.“ Das sagt er so. Sein Partner wird das besser wissen. Aber wer ist sein Partner? Die Journalistin lächelt hintergründig. Kennt sie seinen Partner? Da schiebt der Sportler noch einen Satz hinterher: „Nein“, sagt er mit Nachdruck, denn hier geht es um seine Ehre. „Eher würde ich sie betrügen.“ Aha! Genauigkeit ist am Platz. Die Betrogene ist dann schon die Frau.

Früher, als die Männer noch mehr Rüschen an ihren Hemden trugen und ihre Waden in Seidenstrümpfen zeigen durften, achteten sie immerhin sprachlich den Unterschied zwischen den Geschlechtern.

Goethe beispielsweise läßt Gretchen im „Faust“ sagen: „Nachbarin! Euer Fläschchen!“ Dann fällt sie in Ohnmacht, denn ihr wird schlecht, weil ihre Periode ausgeblieben ist. Ihr Satz: „Nachbar! Euer Fläschchen!“ hätte dagegen nicht ihre verheimlichte Schwangerschaft angedeutet, sondern ein von Gretchen verheimlichtes Alkoholproblem.

Womöglich wäre sie mit Mephisto einen saufen gegangen und hätte den Oberstudienrat a. D. Heinrich Faust einfach stehenlassen. Ein ganz anderes deutsches Drama hätte sich aufgetan: das der unverstandenen Frau.

Inzwischen geht es auf der Bühne um die Frage, „wer ein Deutscher ist“. Antwort geben soll der Neonazi. „Und wenn Sie nun als Sohn von einem Schwarzen und einem Deutschen hier in Deutschland geboren wären?“ fragt die Journalistin. Biologisch ein überraschender Gedanke. Der junge Nazi antwortet ohne Umschweife: „Dann wäre ich nicht bei der Wiking-Jugend.“ Das kommt dabei heraus.