Mehr Reform als Programm

■ Dieser Tage unterbreiten uns auf der IFA die Programmanbieter wieder ihre immer kurzatmigeren TV-Strategien. Lohnt das Hinhören überhaupt noch?

Die Programmformen im Fernsehen werden immer schnellebiger. Nichts ist älter als der Trend von gestern. Was gerade noch die Gemüter erhitzte, ist wenig später sang- und klanglos aus der Diskussion verschwunden. Man hat noch die harschen Worte des Kölner Regierungspräsidenten zum Realitätsfernsehen im Ohr („Sittenverfall und perverse Entwicklung“), da ist das sogenannte Reality-TV kaum noch präsent. Auch das pseudopsychologische Seelen- Striptease, mit dem sich vor allem Sat.1 hervorgetan hatte („Ich bekenne“: Legionäre und Produzenten von Kinderpornos lieferten Einblicke in ihr Seelenleben), ist längst aus dem Programm verschwunden.

Ähnlich war der Verlauf der zuletzt erbittert geführten Gewaltdiskussion, die durch die Serie „Power Rangers“ entstanden war. RTL reagierte, stornierte die tägliche Ausstrahlung und beschränkt sich nun auf den Samstagvormittag. Nahezu gleichzeitig zeigt Sat.1 die Serie „Syber-Squad“, gleichfalls eine prächtige Prügelorgie, doch sie hat die streitbare Öffentlichkeit gar nicht zur Kenntnis genommen, zumal die ruhelosen selbsternannten Fernsehwächter längst ein neues Fressen gefunden haben: das Thema Kinder und Werbung. Forderten sie gestern noch die Abschaffung jeglicher Gewaltdarstellung im Fernsehen, so wird ihr ganzes Streben morgen dem Bemühen gelten, die Kinderprogramme werbefrei zu bekommen. Auch dieses Unterfangen wird gleichzeitig scheitern und gelingen: scheitern, weil kommerzielle TV-Sender nun mal von der Werbung leben; gelingen, weil die Werbezeit im Umfeld von Kindersendungen vielleicht tatsächlich eingeschränkt wird. Typischerweise für derlei moralische Feldzüge wird jedoch auch hier unterm Strich die Niederlage bleiben: Schließlich sitzen Kinder erfahrungsgemäß genauso gern vor dem Fernsehgerät, wenn keine Kindersendungen gezeigt werden.

Auch angesichts eines durchaus möglichen Erfolgs, wie er ja zumindest in Ansätzen in der Gewaltfrage zu erkennen war, bleibt natürlich die Frage: Wenn Privatsender auf öffentliche Diskussionen reagieren, haben sie dann tatsächlich moralische Skrupel bekommen? Oder ist letztlich, wie in der Gewaltfrage, nicht doch eher der ökonomische Druck ausschlaggebend, weil die werbende Wirtschaft ihre Produkte nicht länger in umstrittenem Umfeld plaziert sehen wollte?

Aber auch sonst zeigt sich, daß Trends im Fernsehen immer kurzlebiger werden. Noch vor wenigen Jahren galt Sat.1 als der Sender, der aus prinzipiell jeder Lebenslage eine Game-Show zu stricken wußte. Im Programm aber findet man in der Hauptsendezeit nur noch den täglichen Dauerbrenner „Glücksrad“, und RTL hat seine angebliche Kultsendung „Der Preis ist heiß“ längst in den Vormittag verbannt.

Eine weitere feste Größe im privatrechtlichen Fernsehangebot war von Beginn an der Sex. Der ist zwar nicht völlig, aber doch weitgehend verschwunden. Die Sexwelle, merkt RTL-Chef Helmut Thoma gern süffisant an, breche jetzt über Sat.1 herein – schließlich wüchsen immer wieder neue TV-Kunden nach, die wissen wollten, wie's die Alten in den „Schulmädchen-Reports“ getrieben haben. Eine Weile versuchten es die Privatsender vor allem mit Comedy; das war zwar besser als Sex und Gewalt, blieb aber angesichts der weitgehend humorlosen Versuche eine eher traurige Angelegenheit.

Was sich einmal als erfolgreich erwiesen hat, wird nicht leichtfertig abgesetzt; doch in der Furcht, einen Trend zu verpassen, wird das Fernsehen immer schnellebiger. Diese privatrechtliche Atemlosigkeit hat längst auch ARD und ZDF infiziert. Wo Konzepte früher in aller Ruhe reifen konnten, da greift man heute in Quotenpanik zum nächstbesten Strohhalm – ein Arbeitsklima, das ARD und ZDF nicht gewohnt sind, weshalb die Trendhechelei dort zwangsläufig zu Kurzatmigkeit führen muß. Tilman P. Gangloff