Rauhbein im Stadion

■ Ron Sheltons Film "Homerun" über eine Baseball-Legende namens Ty Cobb

Ty Cobb spielte Baseball. Und er spielte besser als jeder andere vor ihm oder nach ihm. Aber nicht nur das: Ty Cobb war ganz bestimmt das größte Arschloch, das je einen Sportplatz betreten hat. Geboren 1886, wurde er mit 17 Jahren Profi. Als er nach 24 Jahren seine Laufbahn beendete, hatte er 123 Rekorde aufgestellt, einige davon sind bis heute nicht gebrochen. Als er 18 war, wurde sein von ihm verehrter Vater von seiner Mutter erschossen, weil sie ihn für einen Einbrecher hielt.

Ob der Tod des Vaters tatsächlich ein Unfall oder – wie die Gerüchte gingen – Mord war, wurde nie geklärt. Fortan kämpfte er sich mit einem nie gesehenen Haß durch die amerikanischen Baseball-Stadien. Aber später unterstützte er anonym ehemalige Gegner, die pleite gegangen waren. Er rutschte beim Versuch zu punkten brutal in andere Spieler, hielt dabei seine mit Spikes bewehrten Schuhe hoch und verletzte viele.

Im Kampf gegen die eigenen Hüften

Er soll seine Spikes vor Spielen geschliffen haben. Das trug ihm den Spitznamen „butcher“ ein. Mit seinem eigenen Körper ging er so rücksichtslos um, daß er sich regelmäßig Oberschenkel und Hüften aufriß und noch auf dem Spielfeld genäht werden mußte – um dann weiterzuspielen, wenn er nicht bewußtlos vom Feld getragen wurde. Er beschimpfte Gegner, Schiedsrichter und das Publikum. In New York wurde er prinzipiell mit Tomaten, Murmeln und Stuhlbeinen beworfen. In anderen Stadien wurde er prinzipiell mit einem Plakat empfangen, das ihn mit einem Messer in der Brust zeigte. 1912 prügelte er sich einen Weg vom Spielfeld auf die Zuschauerränge und wieder zurück, um einen behinderten Fan, der ihn beschimpft hatte („Deine Frau wird von Niggern gefickt!“), krankenhausreif zu schlagen. Weil ihn in Ohio eine Klage wegen Totschlags an einem schwarzen Hotelangestellten erwartete, mußte er 1909 zu den World Series auf dem Umweg über Kanada anreisen. Ein Räuber, der ihn zu bestehlen versuchte, wurde von ihm umgebracht, ohne daß Cobb dafür je vor Gericht mußte. Seine beiden Ehefrauen behaupteten nach den Scheidungen, Cobb habe sie mißhandelt. Seine eigenen Team-Kollegen konnten ihn nicht ausstehen und versuchten ihn wegzuekeln. Nur knapp entging Cobb einer lebenslangen Sperre, weil er Spiele verschoben haben soll.

Er spielte in einem Theaterstück, in einer Fernsehserie, schrieb Bücher und unterhielt Briefkorrespondenzen mit Zeitgenossen wie Mark Twain und Ernest Hemingway, die sich zu seinen größten Fans zählten. Er war ein erklärter Rassist und Antisemit. Andererseits war er der erste große Star, der sich gegen die damals sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen für Profisportler in den USA wandte. Er war Mittelpunkt und Anlaß des ersten Spielerstreiks in der Geschichte des Profisports, anschließend wurde die erste Spielergewerkschaft gegründet. 1912 kaufte er für 10.000 Dollar Aktien einer kleinen Getränkefirma in seiner Heimat Georgia. In den 20er Jahren wurde er dadurch zum Millionär – die Firma hieß Coca-Cola. Ähnliches Geschick bewies er mit General Motors, und sein Vermögen überlebte den Schwarzen Freitag ohne Probleme. In seinen letzten Jahren trug er, wohin er auch ging, einen Koffer mit einer Million in Aktien und Wertpapieren mit sich herum.

Als Ty Cobb 1961 starb, wurde sein Vermögen auf 12 Millionen Dollar geschätzt. Er hatte bis dato jede nur denkbare Krankheit gehabt und sich doch geweigert, Medikamente zu nehmen. Seine Kinder waren entweder tot oder wollten nichts mehr von ihm wissen, und zur Beerdigung des wahrscheinlich besten Baseball-Spielers aller Zeiten kamen als einzige Erwachsene nur drei ehemalige Mitspieler. Als 13 Jahre vor ihm sein großer Gegenspieler Babe Ruth zu Grabe getragen wurde, pilgerten eine Viertelmillion Menschen an dessen Sarg vorbei.

Was für ein Leben. Was für einen Film hätte man daraus machen können...

Biografie eines Psychopathen

Regisseur Ron Shelton, hierzulande vor allem bekannt durch die Basketball-Komödie „White Men Can't Jump“, machte einen anderen Film. Einen Film über einen Psychokrieg, ein Kammerspiel auf vier Autoreifen. Und das kam so: Cobb heuerte sich einen bekannten Sportschreiber namens Al Stump, um seine Biografie in Form zu bringen. Stump verbrachte 1960/61 vierzehn Monate mit der sterbenden Legende. Monate des Blutspuckens, der Insulin-Spritzen in letzter Sekunde, von Schießereien und Schlägereien, Anfällen und depressiven Momenten. Monate, die Stump zu folgendem Schluß kommen ließen: „War Ty Cobb während seiner ganzen Karriere ein Psychopath? Die Antwort ist ja.“ Die Biografie, die in dieser Zeit entstand, mußte von Cobb

Fortsetzung auf Seite 17

Fortsetzung

und seinen Anwälten abgesegnet werden. „My Life in Baseball: The True Record“ enthielt Cobbs Wahrheit und nichts als die Wahrheit. 1962 veröffentlichte Stump eine Reportage, die den wahren Cobb beschrieb. Erst im letzten Jahr erschien „Cobb: A Biography“, in der Stump das gesamte gesammelte Material verwendete. Er hatte sich Zeit gelassen.

Shelton, der selbst früher in unteren Ligen Baseball gespielt hatte, hätte vielleicht besser auf die zweite Biografie gewartet. Gestützt lediglich auf die 1962 erschienene Reportage, beschreibt „Homerun“ nicht einen Mann und seine Zeit, sondern taumelt zwischen Erschrecken und Sentimentalität. Tommy Lee Jones spielt Cobb unter einem Berg von Schminke als ein unberechenbares Monster, grimassiert und spuckt, röchelt und hechelt, weint und flucht und torkelt sich mit aller Macht zu seinem zweiten Oscar. Robert Wuhl als Stump bleibt da notgedrungen recht blaß, mit großen Augen, Eheproblemen und vollgemachten Hosen, wenn Jones wieder mal hysterisch mit seiner Knarre herumfuchtelt. Shelton reduziert Cobb auf einen verhärmten, tödlich beleidigten Alten, den die Zeit überrollt hat. Und er versucht Cobbs furchteinflößendes Benehmen auf und neben dem Baseballfeld allein durch den frühen Tod des Vaters zu erklären, der in Sheltons Version von der Mutter absichtlich erschossen wurde.

„Cobb“, so der Originaltitel, verpaßt damit nicht nur die Chance, einen zweiten „Raging Bull“ abzugeben. Shelton findet auch, im Gegensatz zu Scorsese, keine avancierten Bilder. Einzig die wenigen Rückblenden, wenn auch peinlicherweise in einem pastelligen Braunton gehalten, zeigen, daß Shelton sehr wohl Sport für die Leinwand inszenieren kann. Aber das Kammerspiel, der Machtkampf zwischen den beiden Protagonisten, bleibt über weite Strecken lahm – auch trotz durchschossener Türen, hinter denen Cobb Fritz-Kreisler-Platten hört, trotz Verfolgungsjagden durch Schneestürme, und trotz eines Tommy Lee Jones, für dessen Präsenz eine Kamera anscheinend gar nicht weit genug weg plaziert werden kann.

Der Titel „Homerun“ war garantiert der unpassendste, den man aussuchen konnte. Denn zwar war Ty Cobb in seiner Glanzzeit der mit Abstand beste Offensiv-Spieler im Baseball, aber er schlug nie viele Homeruns. Tatsächlich lehnte er Homeruns ab, sie zerstörten – so glaubte er – sogar die technischen und taktischen Finessen des Spiels. Auch ein Grund, warum er und der von den Massen verehrte Homerun-Schläger Babe Ruth sich während ihrer aktiven Zeit ausdrücklich verabscheuten.

Vielleicht war Tyrus Raymond Cobb auch einfach so, wie ihn Hemingway beschrieb, nachdem ihre Freundschaft nach einem Streit zerbrochen war: „Er hatte eine Schraube locker. Es war, als wäre sein Hirn falsch verkabelt.“ Thomas Winkler

„Homerun – Cobb“, R + B: Ron Shelton, D: Tomm Lee Jones, Robert Wuhl, Lolita Davidovich, USA 1994