■ Nato-Flieger beschießen bosnisch-serbische Stellungen
: Hoffnung für Sarajevo

Soldaten sind Mörder. In Tucholskys Diktum steckt gewiß eine tiefe Wahrheit, aber selbstverständlich ist es nicht die Wahrheit schlechthin. Oder ist der serbische Artillerist, der eine Granate auf den Marktplatz von Sarajevo abgefeuert hat, die 37 Menschen zerfetzte, etwa gleichermaßen Mörder wie der deutsche Soldat, der im Lazarett in Split auf die ersten Verwundeten des Nato-Einsatzes wartet? Wagen wir also einen nüchternen Blick: Da wird eine Stadt mit über 300.000 Einwohnern seit über drei Jahren belagert, werden ganz nach dem Gusto von Kriegsverbrechern Leute mit Nahrungsmitteln versorgt oder zum Hunger gezwungen, mit Granaten beschossen oder in Ruhe gelassen. Es ist gut, daß die Menschen in dieser erbärmlichen Lage nun hoffen dürfen, daß sie keinen vierten Kriegswinter über belagert werden.

Der Angriff der Nato-Flieger hat Menschen getötet, vor allem, aber ganz gewiß nicht nur, Soldaten, die mit ihren Mörsern und Haubitzen eine eingeschlossene Zivilbevölkerung terrorisieren, Soldaten, die im Dienst von Kriegsverbrechern stehen. Sie mögen ideologisch verblendet sein, nur den Kadavergehorsam gewohnt, ansonsten vielleicht sogar brave Familienväter. Jedenfalls sind sie verantwortlich für den Terror, unter dem eine weitgehend schutzlose Zivilbevölkerung in Sarajevo leidet.

Über zehntausend Menschen sind in Sarajevo dem Beschuß aus den Bergen zum Opfer gefallen. Um eine Vorstellung zu bekommen: Es ist so, als ob in Berlin in dreieinhalb Jahren 120.000 Menschen getötet worden wären. Sehr vieles spricht dafür, daß heute viel weniger Kriegsopfer zu beklagen wären, wenn eine Intervention vor drei Jahren stattgefunden hätte. Vieles spricht dafür, daß die jetzige begrenzte Intervention selbst heute noch weit mehr Menschenleben retten als töten wird. Die Rechnung mag makaber sein. Doch jegliche Moral muß sich auch daran messen lassen.

Aber führt nicht jede Intervention zu einer unkontrollierbaren Ausweitung des Krieges mit letztlich noch viel mehr Toten? Das muß nicht so sein. Vieles deutet auf das Gegenteil hin. Milošević braucht Ruhe in Bosnien, um sein politisches Überleben zu retten, der Westen will vor allem Stabilität, und Karadžićs Milizen sind keine Partisanen, die gegen eine fremde Macht kämpfen. Nein, Bosnien ist nicht Vietnam, und die „Schluchten des Balkans“ geben zwar einen passenden Titel für einen Abenteuerroman her, als politische Metapher aber taugen sie nicht. Thomas Schmid