: Kriegsgegner in der Türkei verurteilt
■ Militärgericht in Ankara verfolgt „Gesinnungstäter“
Istanbul (taz) – Drei türkische Kriegsdienstgegner sind von einem Militärgericht in der Hauptstadt Ankara zu Freiheitsstrafen zwischen zwei und sechs Monaten und zu Geldstrafen verurteilt worden. Grund der Verurteilung ist eine Pressekonferenz im Mai vergangenen Jahres in Istanbul, bei der sie das Recht auf Kriegsdienstverweigerung einforderten.
Wegen „Entfremdung der Bevölkerung vom Militärdienst“ sind die Kriegsgegner am Dienstag in Ankara verurteilt worden. Die Angeklagten – allesamt Zivilisten – wurden nach dem Militärstrafrecht verurteilt. Der vierte Angeklagte, Osman Murat Ülke, Vorsitzender des Vereins der KriegsgegnerInnen in Izmir, wurde zwar freigesprochen, aber unmittelbar im Anschluß an das Gerichtsverfahren von Militärpolizisten abgeführt – ein Vollzug der Zwangsrekrutierung, die das Gericht anordnete.
Obwohl in aller Regel Regimekritiker von den Staatssicherheitsgerichten abgeurteilt werden, die zuständig für „Verbrechen gegen den Staat“ sind, haben seit einigen Jahren auch die Militärgerichte begonnen, kritische „Gesinnungstäter“ zu verfolgen. Insbesondere Antikriegsinitiativen und Gruppen, die zur Kriegsdienstverweigerung aufrufen, sind davon betroffen – Kriegsdienstverweigerer werden in der Türkei rigoros verfolgt.
Osman Murat Ülke erklärte vor Gericht, daß er aus Gewissensgründen nicht seinen Militärdienst ableisten wird. „In diesem Land tobt ein dreckiger Krieg. Die Militärgerichtsbarkeit ist nicht unabhängig. Wir verurteilen jede Form von Gewalt. Und Sie sind die Urheber der institutionellen Gewalt!“ Der Angeklagte Mehmet Sefa Fersal machte seine Verteidigungsrede zu einem Friedensappell: „Ich schäme mich, in einer Welt zu leben, in welcher die Waffen und Massaker heilig sind.“
Die Militärrichter reagierten auf die beiden Angeklagten völlig fassungslos. „Wie alt bist du? Gibt es denn einen Grund, warum du nicht Soldat wirst?“ fragte der Militärrichter den 35jährigen Fersal. Fersal, im bürgerlichen Leben damit beschäftigt, Gedichte zu schreiben, hat den Richter nicht verstanden. Er nahm die Gerichtspause vor Urteilsverkündung zum Anlaß, aus dem Gebäudekomplex des Generalstabes, in welchem das Militärgericht tagt, zu flüchten. „Als er gemerkt hat, daß wir ihn zwangsrekrutieren, ist er geflüchtet“, quittierte der Richter. Mit Haftbefehl wird Fersal jetzt überall in der Türkei gesucht. Ömer Erzeren
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