Neonazi-Anwalt zusammengeschlagen

■ „Auschwitz-Mythos“-Prozeß in Hamburg mit nicht geplantem Ende

Hamburg (taz) – Ein abruptes Ende nahm gestern in Hamburg die Berufungsverhandlung im sogenannten Hamburger „Auschwitz-Mythos“-Prozeß. In einer Verhandlungspause wurde der Rechtsanwalt der beiden Angeklagten, Jürgen Rieger, auf offener Straße von sechs Vermummten krankenhausreif geschlagen.

Rieger war lange selbst FAP- Mitglied und hat sich als Anwalt in der rechtsextremen Szene einen Namen gemacht. Der Prozeß wurde auf unbestimmte Zeit unterbrochen. Das Hamburger Landgericht verhandelte, von einem starken Polizeiaufgebot begleitet, in 2. Instanz gegen die Neonazis André Goertz und Jens Siefert. Anfang des Jahres hatte das Amtsgericht Hamburg die Mitglieder der inzwischen verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) vom Vorwurf der Volksverhetzung, Verleumdung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener freigesprochen. In einer Anrufbeantworter-Ansage des Nationalen Infotelefons Hamburg vom März 1994 hatte der 25jährige Hauptangeklagte Goertz behauptet, daß der Spielfilm „Schindlers Liste“, „die Hollywood-Seifenoper des Juden Steven Spielberg“, den „Auschwitz- Mythos am Leben“ erhalte. Das Amtsgericht hatte darin keine Leugnung des Holocaust gesehen, da der Begriff „Auschwitz-Mythos in seinem objektiven Bedeutungsgehalt indifferent geworden“ sei. Er könne deshalb nicht ohne weiteres mit der „Auschwitz-Lüge“ gleichgesetzt werden. Goertz' Einlassung, er wolle gar nicht bestreiten, daß auch in Auschwitz unzählige Juden vergast wurden, sei nicht zu widerlegen. Es hätten sich „keine Anhaltspunkte“ finden lassen, daß er gelogen habe. Mit seiner nach dem Rechtsgrundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ getroffenen Entscheidung sorgte der 37jährige, der später von der rechten Szene als „anständiger Richter“ gepriesen wurde, bundesweit für Empörung. Der Publizist Ralph Giordano sprach von einem weiteren „Neonazi-Justizskandal“ kurz nach dem Deckert-Urteil. Für den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, war der Freispruch „verheerend“, weil die Nazis dadurch aufgewertet würden. Sein Stellvertreter und Mitglied des CDU-Bundesvorstands, Michel Friedmann, wetterte, das Gericht habe „fatal versagt“.

Auch die Hamburger Staatsanwaltschaft, die 7.200 Mark Geldstrafe (180 Tagessätze à 40 Mark) geforderte hatte, war mit dem Urteil nicht einverstanden und ging in die Berufung. Guido Börnsen