■ Die kleine Breitseite
: Günter Grass unterm Kurzschwert der Kritik

Wie konnte das nur passieren? Günter Grass hat einen Roman geschrieben. Einen „langweiligen“ und „mißratenen“, einen „schlechten“ Roman. Selbst die Zeit ließ Iris Radisch die Enttäuschung in Worte fassen: „Wer hätte sich nicht gewünscht: Die Neugeburt des unbekümmerten Artisten der Zeitgeschichte, des ungezähmten Wortmetzes (Was für ein Kalauer, ich fordere Patentschutz! Liebe Iris Radisch, sind Sie am Ende gar selbst eine Wortmetzerin?) und Buchhauers (Aua!) Günter Grass?

Es hat nicht sein sollen! Der großspurig angekündigte Jahrhundertroman, die schriftstellerische Bewältigung der Deutschen Einheit, so scheint es, ist gescheitert, „verplappert“. Ein Machwerk, das der Herr Großkritiker erst gar nicht totschlagen muß, weil es – wie er im Literarischen Quartett erzählt hat – „gar nicht lebt“. Ein diktatorisches „Schluß! Aus!“ ward hinterhergesetzt – weitere Diskussion überflüssig.

Mein lieber Reich-Ranicki, so geht das nicht! Ihre Argumentation lebt bekanntermaßen zu einem erheblichen Teil von der Feuchtigkeit, mit der sie vorgetragen wird. Es gibt Schlangen, die spucken dem Menschen ihr Gift treffsicher ins Auge. Ihr imposanter Redefluß gibt Ihnen die Möglichkeit, Ihre Klienten innerhalb kürzester Zeit verdauungsfertig einzuspeicheln. Das macht Ihnen im deutschen Showgeschäft so schnell niemand nach.

Aber Ihre unerschütterliche Eifer- und Geifersucht scheint mir verdächtig. Niemand will Sie daran hindern, den großen Gladiator im Circus maximus der Eitelkeiten zu spielen, aber warum machen Sie sich mit Ihrem Kurzschwert ausgerechnet über eine – von Ihnen selbst diagnostizierte – „Totgeburt“ her? Ich dachte immer, Sie seien ein Chevalier alter Schule, aber Ihr Benehmen ist alles andere als ritterlich.

Wenn es dem Verkauf des Spiegels nützt, ist es Ihnen recht, auf dem Titelbild den jähzornigen Zerrgott zu spielen. Oh, was für ein Kraftakt! Oder doch nur Leichenfledderei? Ja was nun?

Marcel, alter Heuchelbruder, was schraubst Du die Erwartungen im nachhinein so hoch? Weißt Du doch am besten, daß von einem utopieamputierten Günter Grass zur Deutschen Einheit gewiß kein Roman zu erwarten war. Warum? Weil es ihm, in seiner eitlen Verbitterung, ganz einfach an schöpferischer Distanz mangelt. Grass brillierte 1959 mit der „Blechtrommel“. Da war er 32, und seine weitzurückliegende Kindheit war der Brunnen, aus dem er schöpfen und trinken konnte. Sein neues Opus magnum ist – so will es die literarische Kritik – ungenießbar.

„Ein weites Feld“ – so wenig gelungen es auch sein mag, es bleibt zumindest doch das Dokument einer versuchten Polemik gegen die Deutsche Einheit. Grass trägt sie – aus der Perspektive der Vereinnahmten vor. Das konnte nicht gut gehen. Bezeichnenderweise gelingt es ihm nicht, in seine Hauptfiguren, Fonty und Hoftaller, hineinzuschlüpfen. Er versteckt sich hinter ihnen, wird von der Kritik hervorgezerrt und exemplarisch abgestraft. „Mein lieber Günter Grass“, das kommt davon, wenn man versucht, politisch zu werden! An der Einheit hat man nicht zu leiden!

Schluß aus! Basta! Wo Reich- Ranicki hinspuckt, wächst kein Grass mehr. Warten wir's ab. Matthias Deutschmann

Der Kabaretist lebt in Freiburg und Berlin.