Wieder weg mit den häßlichen Nasen?

■ Verkehrsberuhigung in Wohnstraßen beunruhigt die BewohnerInnen/ Eine neue Untersuchung des Bremer POLIS-Instituts

Die Verkehrsberuhigung in Bremer Wohnstraßen ist gescheitert. All die begrünten Nasen und Schikanen, die Tempo-30-Schilder sind für die Katz. Durch hochgradig verkehrsberuhigte Straßen tobt der Verkehr, ohne Rücksicht auf Tempolimits. Zwischen den künstlichen Verengungen wird Vollgas gegeben. Und die Anwohner, denen all die teuren Maßnahmen nützen sollen, finden die Situation vor ihrer Haustür schlimmer noch als vor der „Beruhigung“. Ihre Straße ein neuer Lebensraum? Gar für Kinder und Alte? Plausch mit Nachbarn von Tür zu Tür? Fehlanzeige!

Dies ist keine Stimmungsmache des ADAC zugunsten zwangsgebremster Bleifußfahrer. Es handelt sich um die Ergebnisse einer Studie, die das Bremer POLIS-Institut für Mensch-Umwelt-Beziehungen gestern der Öffentlichkeit vorstellte. Ein Jahr lang, vom 1.1. bis zum 31.12 1994, hat das Institut den Verkehr auf neun Bremer Straßen untersucht und die Stimmungslage der Anwohner erforscht. Das Ergebnis könnte für die Planer der Verkehrsberuhigungen nicht niederschmetternder sein.

Mit Radarpistolen und Strichlisten bewaffnet stellten sich Mitarbeiter des an der Hochschule Bremen angesiedelten POLIS-Instituts an den stark verkehrsberuhigten Tempo-30-Straßen Erlenstraße, Georg-Gröning-Straße und Schwarzer Weg, an den weniger beruhigten Tempo-30-Straßen Moselstraße, Scharnhorststraße und Seewenjestraße und den „unberuhigten“ Straßen Meyerstraße, An der Gete und Greifswalderstraße auf. Am schlimmsten ging es auf dem Schwarzen Weg in Gröpelingen zu, der etwa 12 mal so viel Verkehr zu verkraften hatte wie die Neustädter Moselstraße - Spitzenbelastung trotz Verkehrsberuhigung.

Die Radarmessungen ergaben, daß Tempo 50, wo vorgeschrieben, in aller Regel eingehalten wurde. Tempo 30 dagegen nur von der Hälfte der Autofahrer, in der Georg-Gröning-Straße (wo Radler, Fußgänger und Autofahrer stark „entmischt“ verkehren) nur von 27 Prozent. Prof. Uwe Riedel und Bernd Szemeitzke (POLIS) interpretierten gerade diese Werte als Indiz für eine besondere Gefährlichkeit der verkehrsberuhigten Straßen – es ist kein Verlaß auf die Langsamkeit des Verkehrs. Entsprechend halten über 90 Prozent der dort Lebenden ihre Straße für ungeeignet als Aufenthaltsort für Kinder, Jugendliche und Alte. Diese Zahlen gelten, egal ob die Straßen beruhigt sind oder nicht. „Null-Effekt der untersuchten Verkehrsberuhigungsmaßnahmen bezüglich der Wiederaneignung des Straßenraumes durch die Bewohner“ bescheinigt die Studie.

Das unerfreulichste Ergebnis der POLIS-Untersuchung: In den sechs verkehrsberuhigten Straßen meinen 44 Prozent der befragten Bewohner, ihre Straße sei durch die Maßnahmen nicht attraktiver geworden; und ein Drittel glaubt gar, daß sich die Situation verschlechtert hat. „Vor dem Hintergrund, daß die Verkehrsberuhigungsmaßnahmen im Interesse der betroffenen Bewohner durchgeführt wurden, stellt dieses Ergebnis den gesamten planerischen, baulichen und finanziellen Aufwand in Frage, mit dem die Maßnahmen realisiert wurden,“ heißt es in der Studie.

Was die Befragten allerdings loben, ist zusätzliches Grün im Straßenbild; so etwas verstehen die Menschen unter „Aufenthaltsqualität“. Doch geht die Liebe nicht so weit, daß sich die Menschen in den verkehrsberuhigten Straßen eher zuhause fühlten als anderswo. Auch hier hört „zu Hause“ an der Haustür auf; Verkehrsberuhigung hat keinerlei positiven Einfluß.

Der ADAC würde anhand dieser Ergebnisse genau wie die Bewohner des Schwarzen Weges fordern: „Weg mit den Nasen!“ POLIS dagegen sagt: Bremen ist auf halbem Wege stehen geblieben. Die Wohnstraßen müssen wirklich von den Autos befreit werden, den fahrenden wie den parkenden. Wenn Beruhigung, dann richtig – Prof. Riedel weist auf die Föhrenstraße in Hastedt hin, wo sich alle Verkehre so innig mischen, daß sich Autofahrer wie Fremdkörper fühlen und tatsächlich nur noch tastend vorankommen.

Wenn ihm jemand Geld gibt, erforscht Riedel als nächstes die Motivationslage der Bremer, die freiwillig auf ihr Auto verzichten. Immerhin: schon 80.000 Bremer Haushalte oder ein Drittel haben überhaupt kein Auto. BuS

Der Untersuchungsbericht liegt in zwei Wochen gedruckt vor, kostet 20 Mark und kann unter Tel. 5905171 bestellt werden.