: „Wir haben nichts vertuscht“
■ Kripo wirft der JVA Oslebshausen Behinderung bei Ermittlungen vor
Am Anfang stand eine Leiche: 1992 starb der Häftling Carsten W. in der JVA Oslebshausen. „Todesursache ungeklärt“, ergaben damals die Untersuchungen.
Neue Zeugenaussagen aber führten dazu, daß möglicherweise das in der Leiche gefundene Polamidon den Tod des Häftlings mitverschuldet haben könnte, der nicht im Methadon-Programm gestanden hatte. Am 1. Februar wurden daher vier Kripobeamte in der JVA eingesetzt, um in diesem Fall zu ermitteln und die Hintergründe anderer Vorfälle auszuleuchten, in denen es zu Strafanzeigen gegen Beamte oder Häftlinge gekommen war.
Im Juni legte die Gruppe einen Bericht vor, der mit der Bitte um „sehr vertrauliche Behandlung“ an die Justizverwaltung adressiert war, aber dennoch an die Öffentlichkeit geriet. Der Bericht, welcher der taz vorliegt, enthält neben einer Kritik an den Zuständen in der JVA auch grobe Vorwürfe gegen die Leitung und Beamte des Strafvollzuges.
Dem Schreiben zufolge waren die Berichterstattungen der Vollzugsbeamten bei Betäubungsmitteldelikten „unvollständig“, Beweismittel wurden teilweise vernichtet. Die Kripoleute hatten den Eindruck, „daß eine der Sache dienliche Zusammenarbeit zwischen dem Vollzug und den Ermittlungsbeamten gar nicht gewollt“ ist. Bei Todesfällen in der JVA Oslebshausen, heißt es, wurden Tatorte ebenso verändert wie Leichenfundorte, wurden relevante Umstände aus dem Geschehen vor Todeseintritt unterdrückt, es kam zu Absprachen der Vollzugsbeamten vor Eintreffen der Polizei. Die Beamten äußerten „konkrete Behinderungen bei Todesermittlungen“.
„Wir vertuschen nichts und haben nichts zu verbergen“, stellte sich gestern die Justizbehörde hinter ihre Beamten im Vollzug. Staatsrat Michael Göbel erkärte, nach einer ersten Durchsicht müsse der Bericht der Ermittlungsgruppe als „sehr dünn“ bezeichnet werden. Die Auseinandersetzung mit dem Papier werde dadurch erschwert, „daß es sich in weiten Teilen um Mutmaßungen, Gerüchte, Verallgemeinerungen, subjektive Einschätzungen und nicht konkretisierbare Behauptungen“ handle. „Hier werden die Autoren nachzubessern haben.“
Ob die bei ihren Angaben bleiben, konnte die taz nicht überprüfen: Auf Anweisung des Polizeipräsidenten wurde den Medien jegliche Auskunft zu den Vorfällen verweigert. Fest steht, daß sich Albert Lohse, stellvertretender Polizeipräsident, noch im Juni der Auffassung seiner Kripobeamten angeschlossen hatte. In einem Aktenvermerk zu einem Gespräch zwischen ihm, Staatsrat Göbel, der Staatsanwaltschaft und der JVA-Leitung weist Lohse auf Fälle von Vertuschungen hin, „wo die Vorabinformation dazu führte, daß der Verfolgungszweck nicht erreicht oder teilweise vereitelt wurde“. Daneben kritisert Lohse mit deutlichen Worten die Zustände in „dem von der JVA zu verantwortenden Dunkelfeld“: „Wir müssen davon ausgehen, daß Waffen, BTM und andere Gegenstände, die am Körper getragen werden können, weitgehend ungehindert in den JVA kursieren.“
So wenig wie die Polizei wollte sich gestern der Leiter der JVA Oslebshausen zu den Vorwürfen äußern. Oberstaatsanwalt Jochen Hübner kann die im Bericht aufgestellten Behauptungen der ermittelnden Kripobeamten nicht bestätigen. Einen BTM-Gebrauch in der JVA räumt er indes ein, das sei nun mal in Vollzugsanstalten nicht zu umgehen. Hübner verschickte jetzt 10 Strafbefehle an Häftlinge, in einem Fall wird gegen einen Vollzugsbeamten wegen Verstoßes gegen das BTM-Gesetz ermittelt. Ein weiteres Ermittlungsverfahren läuft gegen einen Beamten, der seine Position dazu genutzt haben soll, einen Häftling sexuell auszunutzen. Der Todesfall des Carsten W. wird noch einmal völlig neu aufgerollt.
Während die Justizbehörde in den Vorwürfen der Kripobeamten keine „tatsächlichen Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen Vollzugsbeamte“ sieht, nimmt die AfB den bericht zum Anlaß einer großen Anfrage in der Bürgerschaft. Die Unterstützung seitens der CDU ist ihr sicher, diese verlangt mit markigen Parolen eine Neukonzeption der Sicherheitsüberprüfung in den Justizvollzugsanstalten: „Die Vorbereitung auf ein straffreies Leben bedeutet nicht das Fehlen von Kontrollen“, erklärt Wedige von der Schulenburg, Vorsitzender des CDU-Fraktionsausschusses für Recht. Auch die SPD fordert Aufklärung. Fraktionssprecher Horst Isola: „Es kann sein, daß hier Vorgänge falsch bewertet worden sind, es kann aber auch sein, daß es tatsächlich Fehlverhalten einzelner Bediensteter gegeben hat.“ dah
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