Ein sauberer Hauch von Sünde

Grit is' z'rück: Nach fast vierjähriger Abwesenheit versucht Krabbe-Kollegin Breuer heute, die Doping-Desillusionierung des Publikums aufzuheben  ■ Von Peter Unfried

Königs Wusterhausen (taz) – Blau fuhr hüben die Regionalschnellbahn vorbei, trübe grau guckten von drüben die Mietskasernen, und erdig braun war der Hartplatz, auf dem Grit Breuer vor ihrem Zurück-Lauf die Muskeln wärmte. Und doch: Hier, beim kleinen Stadion-Sportfest im brandenburgischen Königs Wusterhausen geschah am Mittwoch offenbar Größeres, die Kameras und auf den letzten Drücker unangemeldet eingeschwärmte Reporter kündeten jedenfalls davon.

Also: Grit is' z'rück! Und das nicht durch die Hintertür, wie man naiv hätte argwöhnen können. Vergangene Woche ist ihre dreijährige Sperre abgelaufen, heute abend wird sie beim ISTAF im Berliner Olympiastadion auf ihrer Spezialstrecke 400m an den Start gehen. Während die Kollegin Zimmermann (geb. Krabbe) nur vage an eine Rückkehr denkt, ist Grit Breuer (23) längst mittendrin. Statt wie früher nur dabei. Die Idolisierung nach Tokio 1991, die Skandalisierung nach dem Fall im Winter 1992, das alles traf die Gruppe Springstein, bekam aber in der Hauptsache Krabbe ab. Breuer saß daneben. Nun ist die Blonde aus dem Spiel, nun konzentriert sich auch der Trainer Thomas Springstein ganz auf Grit Breuer.

Der „umstrittene Coach“, wie ihn dpa zu nennen pflegt, ist dereinst arbeitslos geworden, als ihn sein Arbeitgeber DLV erwischte, wie er seinen Läuferinnen Kabbe, Breuer und Derr das Asthmamittel Spirodent inklusive des anabolen Wirkstoffs Clenbuterol verschrieb. Im Moment macht er eine Umschulung, in deren Rahmen er als Trainer des Schweriner SC Breuer betreut. So wie er einst durch die Leistung Krabbes Anerkennung und Stellenwert zugeteilt bekam, so möchte er Geschichte nun durch Breuer wiederholen. Deren positive Seiten, versteht sich. Drum hat er auch schon mal davon gesprochen, Breuer habe „perspektivisch das Potential, den Weltrekord anzugreifen.“

Ein schöner Satz! Der hat ihm gleich einige Resonanz eingebracht. Denn Breuers Bestzeit lautet zwar 49,42sec, was sie zur viertschnellsten 400m-Läuferin aller Zeiten macht. Doch steht der Weltrekord auf 47,60sec, gehalten von Hochleistungsikone Marita Koch, und der, das sagte selbst Stadionsprecher Heinz-Florian Oertel in Königs Wusterhausen, sei „aus einer anderen Zeit“. Nun hat Breuer relativiert, daß dies eine Aussage sei, „die er im Hinblick auf die Zukunft gemacht hat“. Doch der Satz ist präsent, und er beschäftigt die Phantasie. Soll er. Springstein hat ein Produkt, und er will es langfristig auf dem Markt plazieren. Sich selbst auch.

Nun haben die vorgestrigen 23,71sec und Platz 3 über 200m weder den Coach noch die Läuferin sehr erheitert. Doch hat Breuer in den letzten Monaten ihr Training nicht auf Sprint, sondern auf Ausdauer konzentriert. 400m, also. Die WM-Ergebnisse von Göteborg haben sie bestätigt. Das Niveau ist nicht allzu hoch, das, sagt Breuer, „hat mir wieder Mut gemacht“. Ende des Jahres beendet sie eine Lehre als Bürokauffrau, nächstes Jahr ist schon Atlanta, da „möchte ich wieder Bestzeit laufen.“ Hoppla! Das wären 49er-Zeiten. Damit hätte sie perspektivisch das Potential, die Weltmeisterin Perec anzugreifen.

Was den „Fall Breuer“ angeht, ist das vorbei, was Bette/Schimank (in der gerade erschienenen Untersuchung „Doping im Hochleistungssport“) Phase der „Desillusionierung“ des vergeßlichen Publikums nennen. Nun geht es darum, und das hat Springstein begriffen, eine neue Illusion zu schaffen. In Königs Wusterhausen hat man Grit Breuer empfangen wie eine, der Unrecht geschehen ist. Groß war der Beifall im „Stadion der Freundschaft“, „schön“, fand es Sprecher Oertel, „daß du wieder dabei bist“. Es gehe „nicht darum, aus der Vergangenheit Lehren zu ziehen“, sagt hierzu Breuer, es ging auf den 200m vorgestern „nur ums Überleben“.

Tatsächlich geht es genau darum. Auch heute und in den kommenden Wochen bei kleineren Meetings in Rieti, Frankreich und Südafrika. Roland Mader, der einstige Volleyball-Funktionär, selbst gerade resozialisiert, soll die Sprinterin vermarkten. Ein erster Kontrakt mit Polydor ist gemacht, und wenn sich der richtige Dreh finden läßt, findet sich auch wieder eine Sportartikelfirma. Im grauen Brandenburg sah man Breuer in einem kleinen Schwarzen, auf dem rot die Feuerblitze glühten. Gut inszeniert. Entwurf: Breuer. Idee? Na? Springstein. Ein Hauch von Sünde! „Wir wollen wieder Feuer entfachen über 400m“, hat er wissen lassen. Und „Parallelen zum letzten Lauf von Katrin Krabbe“ gesehen. Sauber! Das hat einen Klatsch des leicht Skandalösen, den wir schätzen.

Also: An der neuen Illusion wird gewerkelt. Arbeitstitel: Sauber, Sühne, Hauch von Sünde oder so. Doch leider: Um die Desillusionierung insbesondere des ökonomisch wichtigen Publikums im Westen vollständig aufzuheben, braucht es schon auch die Realität der neuen, großen Leistung. Heute schon eine 50er Zeit in Berlin? „Ich hoffe“, sagt Grit Breuer, „daß ich im Kopf so frei bin, daß ich sie laufen kann.“ Falls ja, wird auch in dieser Geschichte noch alles gut.