Ganz liebe Bürger

■ Götz George über seine Rolle als der Massenmörder Fritz Haarmann in Romuald Karmakars Film "Der Totmacher", der jetzt bei der Mostra in Venedig Premiere hat

Haarmann mit dem Hackebeilchen – das war für die Linken in den zwanziger Jahren der Prototyp des Menschen im Kapitalismus, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf und so weiter, für die Rechten ein perverser Schwuler, eine Ausgeburt der Moderne. Wie haben Sie den Haarmann gelesen?

Götz George: Für mich war das Zentrale dieser absolute Kommunistenhaß, wie kam Haarmann darauf, daß die Kommunisten ihn lynchen wollten, daß alles Böse von ihnen ausging – eine Vision, die ja von der damaligen Regierung durchaus geschürt wurde. Aber eigentlich ist die Geschichte, die historische Einordnung für mich nicht wichtig.

taz: Arbeiten Sie mit Haarmann ein bißchen weiter an Ihrer Geschichte „Aus einem deutschen Leben“, Kotullas Verfilmung der Höß-Biographie, wo Sie auch die Hauptrolle spielten?

Nun, Höß war auch ein Massenmörder. Aber er war ein sehr spießiger, korrekter Familienvater, der innerlich von einer großen Moral geleitet wird und eben auf dem Papier mordet. Das war ein ganz minutiöser Preuße, ein Mensch, der seine Füllfedern ordnet. Ein schizophrener Massenmörder hingegen, den kannst du nicht mit Soziologie kriegen, sondern nur mit deiner Fantasie, mit deiner langjährigen Erfahrung als Schauspieler und als sehr feinfühliger Mensch.

Also wenn Haarmann sagt: „Ich will, daß man in tausend Jahren noch von mir spricht“, dann kann man doch nicht anders, als an Hitler denken. „Totmacher“ ist doch ein Film über Hitler!

Massenmörder sind sich gleich, sie suchen Liebe, und aus irgendeinem Grund brechen sie aus. Das sind meist völlig unauffällige Leute, immer nett, hilfsbereit ...

Sie tragen in dem Film ein kleines Bärtchen, wenn da das Licht so und so drauf fällt, dann stockt einem der Atem, da ist gar keine Verwechslung mehr möglich ...

Aber so sah man damals aus, zu der Zeit war Hitler ja schon ganz vorne, da hatte man diesen kurzen Bart. Das war richtungweisend, Hitler kam schließlich an die Macht! Ich habe diese Maske entworfen, der kahle Kopf, das Bärtchen, mit so was muß man erst mal umgehen. Die Figur wurde dann sogar für mich selbst so irritierend, daß ich sagte: Ach du grüne Neune, jetzt seh' ick ja aus wie der alte Adolf. Tun wir uns damit einen Gefallen? Der Haarmann hatte was Hitlermäßiges, aber das war keine Absicht. Da war keine Ideologie hinter.

Das zu glauben fällt mir allerdings schwer. Ein Film, in dem ein ausgewiesener Ostschauspieler, Jürgen Hentsch, Götz George Bekenntnisse über die Greueltaten eines Massenmörders entlockt, in einem Gespräch, dessen Ergebnis im Grunde ist, daß dieser kindliche Mann womöglich nichts dafür konnte – das scheint mir nicht so gänzlich ideologiefrei.

Das Wichtigste für mich war immer die Menschlichkeit, ihn als Menschen zu zeigen. In den ganzen Frage-und Antwortspielen mit den Journalisten hier in Venedig kommt das immer wieder vor: Ist der denn nicht zu menschlich? Dasselbe haben sie damals bei Höß gesagt: Ist der nicht zu menschlich! Da sage ich nein. Um Gottes willen. Da darf kein zynischer Zug rein, kein böser Zug. Diese Leute waren Bürger, und ganz liebe Bürger. Und ganz menschliche Menschen.

Hitler auch?

Also die Leute, die ihn noch kannten, sagen: Das war eine wahnsinnige Persönlichkeit. Da hast du zwar drüber geschimpft und hast deine Witze gemacht, aber auf einmal kam der rein, auf einmal war alles ruhig, und du warst ganz glücklich, wenn er dir die Hand gegeben hat. Ein charismatischer Mensch, sonst hätte er das doch nicht in Bewegung gebracht, na höre mal! Da dachten doch alle: hoppla. Humor hatte er auch. Ach du Donnerwetter, machen wir uns doch nichts vor: Sonst hätte das nicht funktioniert.

War Hitler ein Trickster? Oder war Haarmann einer?

Auf diese Idee könnte man kommen. Andererseits: Wenn Sie mal in so eine Psychiatrie gehen – ganz liebe Menschen. Für die ist das schönste das Essen. Gurkensalat! Eine billige Frucht, ein billiges Gemüse, und die sagen dann, wie Haarmann in dem Film [spielt eine Szene nach], Gurkensalat: war toll.

Wenn Sie das Protokoll von Haarmanns Vernehmung durchlesen: Das sind alles menschliche Beweggründe gewesen, die Trauer, das Anbiedern, der Größenwahn, das Servilsein, die Angst, die Kraft des Masochistischen, die Brutalität, die aufblitzt manchmal.

„Der Totmacher“, das ist ein Film über Schuld und Sühne, das hat Dostojewskische Tiefe. Da sagst du dir als Schauspieler: Wenn du das nicht schaffst, hast du deinen Beruf verfehlt.

Sind Sie so was wie der letzte große deutsche Star?

Stars gibt's ja bei uns nicht.

Wenn Sie in Berlin über die Straße gehen, dann ...

Nee! Oder Sie sagen: Ey, Schimmi, Mann. Nein, „Star“ bedeutet was anderes. Das hat was mit 'ner großen Sinnlichkeit und Zuwendung des Publikums zu tun, Depardieu ist in Frankreich ein Star, denn die haben eine andere Auffassung von Leben, eine andere Auffassung von Kunst, bei uns existiert Sinnlichkeit nicht. Wir wollten das auch irgendwann mal, aber wir sind materialistisch geworden, für uns gibt es Wichtigeres als Film, für die Franzosen gibt es nicht so viel, was wichtiger wäre als Film. Für die ist es wichtig, gut zu essen und sinnliche Dinge zu genießen. Warum haben die nicht so viele Kriege geführt? Weil sie besser mit der Mama ins Bett gehen konnten. Können wir Deutsche nicht! Deswegen führen wir Kriege. Weil wir einen Blitzableiter brauchen. Und deswegen machen wir Krach. Und diese Komponente, die führt zum Star. Die sagen: Den mögen wir. Bei uns gibt es immer nur Einschaltquotenstars, und die sind sehr eitel.

Haben Sie in „Haarmann“ den Alten rausgelassen? Ich fand, man sah irgendwie dauernd Heinrich George, das war so der gute alte deutsche Expressionismus, Max- Reinhardt-Bühne ...

Das sind die Gene. Das ist unbewußt. Haben mir aber heute alle gesagt (strahlt). Ich meine: das Vater-Sohn-Verhältnis war bei uns immer ganz intensiv. Ich habe ihn ja quasi nur sieben Jahre erlebt, aber diese unendliche Liebe, dieser unendliche Respekt, den ich vor seiner Schauspielerei habe, dieses abgöttische Staunen – das alles hat mich ja letztendlich auch bewogen, diesen Beruf auszuüben. Wie der Menschen gestaltet hat, wie dieser schwere, geniale Schauspieler es verstanden hat, aus diesem Körper alles zu zaubern: Zartheit, eine absolute Überintelligenz, der Zola ist noch nie mit einer solchen Intelligenz dargestellt worden. Der konnte alles spielen. Du kannst so einen Menschen nicht nachmachen, außerdem bin ich ein ganz körperlicher Mensch, das war er zwar auch, aber er mehr so dick und ich bin ja eher durchtrainiert. Das sagt heute auch Quadflieg, der ja meines Vaters junger Lieblingsschauspieler war. Das schafft heute niemand mehr. Wenn ich in sehr trauriger Stimmung bin, ziehe ich mir halt so einen Film rein – und verzweifle dann noch mehr, weil ich sage: Das ist nicht erreichbar. Aber deshalb kam dieses Skript mir wie gerufen, da ist so viel drin, das kann man bedienen. Das muß man bedienen. Wenn man ein bißchen einen Auftrag in sich spürt.

Als Sie sich den Haarmann erarbeitet haben, sind Sie da so vorgegangen wie Robert de Niro, so kannibalistisch, so ganz die Rolle in sich reinfressend?

Das hat gar keinen Sinn, das kann man machen, wenn man einen Schachspieler geben soll, dann kann man dessen Handwerk erlernen, aber ein Massenmörder? Nein, das kam alles aus den Protokollen, da ist nichts hinzugefügt, der Stenograph hat ja quasi Regieanweisungen geschrieben: jetzt ist er traurig, er wischt mit der Hand über den Tisch und so weiter, aber dann muß man auch damit klarkommen, daß er ständig springt in seinen Stimmungen. Ich saß hier vorgestern abend und sah den Film zum ersten Mal. Alles war durchgeschwitzt. Du hast es geschafft. Ich bin ja oft nach Rollen zusammengebrochen, nach Richard oder Hamlet, das sind ja auch so Grenzfiguren. Aber diesmal hat's mich wirklich erwischt. Ich hatte eine Lungenentzündung, so was habe ich noch nie erlebt, ich bin ja ganz trainiert, jeden Tag mein Strandlauf, jeden Tag mein Mountainbikefahren. Aber diesmal dachte ich, ich muß sterben. Das hat richtig Schaden hinterlassen. Aber das ist auch toll, da habe ich mir gesagt: Ich bin noch ein Schauspieler, der brennt.

Schimmi hat das nicht so hergegeben?

Ach, der Schimmi, das war eine sehr geliebte Figur, deshalb nehme ich das auch wieder auf, nicht als „Tatort“-Figur, nicht als Serie, sondern als etwas Eigenständiges, und laß' mir diesmal von den besten Leuten die Drehbücher schreiben. Mit Schimmi kann man nämlich Politik machen. Neonazis, Korruption, alles, was bei uns stinkt. Die ganze Unentschlossenheit in der Politik! Daß wir keine Persönlichkeiten mehr haben, das kann man da schön vorführen, was sind denn das, das sind doch nur Pappnasen! Das Gespräch führte Mariam Niroumand