Schröder wieder an der Leine

■ Hannovers Ministerpräsident wird von Parteichef Scharping aus der Führungscrew der SPD verbannt

Bonn (taz) – Eigentlich hätte es für Gerhard Schröder ein schöner Tag werden können. 47 Prozent der WählerInnen halten ihn für den besseren Kanzlerkandidaten der SPD, auf Rudolf Scharping entfallen laut einer gestern veröffentlichten Umfrage nur 37 Prozent. Doch von dem Ziel, diesen Vorsprung auch praktisch auszunutzen, ist Gerhard Schröder seit gestern weiter entfernt als zuvor. Denn überraschend degradierte ihn Scharping, indem er ihm die Zuständigkeit für die Wirtschaftspolitik der Partei entzog. Anlaß für den Rausschmiß aus der Troika war ein Interview in der Zeitung Die Woche. Dort hatte Schröder gesagt: „Es geht nicht mehr um sozialdemokratische oder konservative Wirtschaftspolitik, sondern um moderne und unmoderne.“

Scharping war der Meinung, wer dies so sehe, könne die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik der SPD nicht mehr wahrnehmen. Schließlich gebe es tiefgreifende Unterschiede zur Ökonomiepolitik der Unionsparteien, etwa in der Diskussion um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder andere ArbeitnehmerInnenrechte. „Ich will nicht, daß diese Unterscheidungen mit der Stimme der SPD scheinbar eingeebnet werden“, sagte Scharping, der seine Entscheidung vom Parteipräsidium am Montag bestätigen lassen will.

Für Schröder ist allerdings klar, daß Scharping „andere Beweggründe als sachliche hat“. Welche, darüber schwieg er sich gestern bei einer spontanen Pressekonferenz in Diepholz allerdings aus. Er denke jedoch „keinesfalls“ an einen Rückzug aus der Bundespolitik.

Zur gleichen Zeit, als Scharping vor der SPD-Fraktion Schröders Degradierung verkündete, verfaßte der Geschaßte einen Brief und faxte ihn nach Bonn, um den Eindruck zu erwecken, er sei Scharping zuvorgekommen. Darin teilte er dem Parteichef mit, daß er als Wirtschaftssprecher zurücktreten wolle, denn: „Die Art und Weise, wie auf jede meiner Äußerungen reagiert wird, zeigt mir, daß es zur Zeit schwer ist, eine Basis für eine rationale Zusammenarbeit zu finden.“

Schröders Behauptung, er sei von Scharping nicht über seine Entscheidung informiert worden, wird in der Bonner SPD-Baracke dementiert. Nach den Informationen aus der SPD-Parteizentrale soll Scharping Schröder in einem morgendlichen Telefongespräch seine Absicht deutlich mitgeteilt haben.

Scharpings Entscheidung war in der Fraktion mit großem Beifall aufgenommen worden. Die Genossen und Genossinnen waren nicht nur über Schröders Haltung zur Wirtschaftspolitik, sondern auch über seine Forderung empört, der Parteitag im November müsse sich mit Wirtschaftsfragen beschäftigen und nicht mit der von Scharping als großes Thema vorgeschlagenen Modernisierung der Verwaltung. Dies hatte SPD-Geschäftsführer Günter Verheugen schon am Mittwoch massiv kritisiert.

Erst am Montag hatte das Parteipräsidium in seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause versucht, einen tragbaren Kompromiß zu finden, der die Machtverhältnisse klargestellt hätte, ohne Schröder bloßzustellen. Karin Nink

Tagesthema Seite 3