Pausenlos betüddelt

■ Schmerz und Psyche: von „Doktorshopping“ bis „Krankheitsgewinn“

Morphium ist kein Allheilmittel. PsychologInnen können helfen, zum Beispiel mit dem Dauerschmerz nach einem Unfall zu leben oder die biographische Verankerung einer Migräne aufzuarbeiten. Wir fragten den Psychologen Christof Kohrs, der in Bremen Gruppen für Schmerzkranke anbietet und Geschäftsführer der Deutschen Schmerzhilfe ist.

taz: Viele PatientInnen rennen von Arzt zu Ärztin – „Ärzteshopping“. Was läuft da falsch?

Christof Kohrs: Da stellt sich erstmal die Frage: In welcher Verantwortung liegt eigentlich die Schmerzbehandlung? In dem Moment, wo der Arzt sagt „Ich helf Dir, das kriegen wir weg“, macht er einen Riesenfehler: Er programmiert in der Regel einen Mißerfolg. Weil das oft nicht funktioniert mit „Ich krieg den Schmerz weg.“ Wenn der Patient natürlich auch nichts hat als die Erwartung „Doktor, mach den Schmerz weg“, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß das nicht funktioniert, weil der Patient sich aus der Behandlung raushält. Der Arzt müßte sagen: „Es gibt nur einen von uns beiden, der sich wirklich gut mit Ihrem Schmerz auskennt, und das sind Sie. Ich brauche von Ihnen die besten Informationen, damit wir miteinander einen Plan entwickeln, wie wir an diesen Schmerz überhaupt herangehen können.“

taz: Es gibt aber die Beobachtung, daß Menschen an Ihrem Schmerz festhalten. Man spricht dann von „Krankheitsgewinn“. Was hat man denn vom Schmerz?

Christof Kohrs:Na, man wird pausenlos betüddelt. Da läßt sich einer 40 Nervenblockaden machen. Da läßt sich einer unendlich an der Wirbelsäule operieren. Das ist ein ungeheures Maß an Zuwendung und zwar auf eine durchaus auch destruktive Art.

Ist das nicht sehr selten?

Es ist zumindest eine verbreitete Haltung zum Schmerz. Und die Ärzte machen das mit, nicht zuletzt, weil das Geld bringt. Die machen zum Teil Operationen, wo man hinterher sagt: „War eigentlich sinnlos.“ Denn obwohl der Nerv des Bandscheibenpatienten nach der Operation eigentlich aufatmen könnte, hat der Patient immer noch diese Schmerzen.

Sind das eingebildete Kranke?

Absolut nicht. Aber Schmerz und Kränkbarkeit hängen sehr eng miteinander zusammen. Es wird aber in unserer Kultur selten gefragt, was bedeutet eine Krankheit eigentlich. Gibt es gravierende Ereignisse im Leben des Patienten, die in einem Wirkungszusammenhang, nicht mal in einem kausalen, aber in einem Wirkungszusammenhang gebracht werden könnten?

Das heißt aber auch: Die PatientInnen sind Subjekt ihrer Krankheit. Eine Schuldzuweisung?

Nein, eine lebensgeschichtliche Verankerung von Schmerz hat mit Schuld überhaupt nichts zu tun.

Geben Sie mal ein Beispiele, wo Schmerz was mit Psyche und Lebensgeschichte zu tun hat.

Zum Beispiel eine Patientin, die eine absolut brutale Kindheit hinter sich hat, sie mußte allein mit einem alkoholisierten Vater leben usw. Die Patientin leidet an einem rechtsseitigen migränösen Kopfschmerz und an einem Hals-Schulter-Schmerz-Syndrom. Nun sitzt sie mir gegenüber, und ich beobachte, daß sie dauernd die rechte Schulter hochzieht und ihren Kopf schräg hält – wenn ich sie zum Beispiel nach etwas frage, was nicht so angenehm in ihrem Leben ist. Ich habe dann zu ihr gesagt: „Ich habe den Eindruck, als weichen Sie wie vor einem Schlag zurück.“ Und da kam die ganze Prügelgeschichte raus. Als Kind konnte sie sich nicht wehren, mußte den Schmerz aushalten, was zu Verspannungen führte. Wenn sie so wollen: ein psychogen konditionierter Schmerz. Fragen: cis