Fetisch, Glamour, Stil

Eine Berliner Ausstellung über die Kulturgeschichte der deutschen Modefotografie von 1945 bis heute  ■ Von Brigitte Werneburg

Milo O'Brannigan – als umworbenen Star und ausgemachtes Arschloch setzte Robert Altman in „Prêt-à-Porter“ den Modefotografen in Szene. O'Brannigan ist die traditionsreiche Figur des amoralischen Künstlergenies in seiner Schrumpfform als Enfant terrible des Modebetriebs. Um ihn balgen sich die Herrscherinnen von Harper's Bazaar, Vogue und Elle. Das ist die Voraussetzung, daß Fotografien die Chance haben, zu überdauern. Gute Arbeit allein ist dafür keine Garantie. Das glamouröse wie das avantgardistische Gesicht der Mode – und nur das Foto zählt, das dieses Gesicht erfindet und inszeniert – entsteht in Mailand, Paris, London und New York. Nicht in München, nicht in Berlin und auch nicht in Hamburg.

Wenn sich also die „Bildermode – Modebilder“ betitelte Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen im Untertitel als „Deutsche Modefotografie 1945-1995“ zu erkennen gibt, dann stutzt man zunächst. Soll hier ein weißer Fleck auf der Landkarte vermessen, Lokalfarbe gefunden, sollen die ausgewanderten Fotografen und Fotografinnen, die anderswo Karriere gemacht haben, für die Provinz vereinnahmt werden?

Ein eigenwilliger Stil des Ostens

F.C. Gundlach, Kurator der Ausstellung in der Kunstbibliothek in Berlin, und die Katalogautoren Klaus Honnef und Enno Kaufhold halten dagegen, daß deutsche Beiträge zur Fotografie des 20. Jahrhunderts wie beispielsweise der Fotojournalismus, der filmische Expressionismus, die Neue Sachlichkeit oder die subjektive Fotografie die internationale Fotografie auch in der Mode beeinflußten. Auf diese Bildermoden greift sie noch immer eklektisch zurück. Und aus der deutschen Teilung ist im Osten, gerade im Bereich der sonst rein westlich geprägten Mode, ebenfalls ein eigenwilliger Stil erwachsen.

Die Modezeitschrift Sibylle, die ihn lancierte, ging kürzlich in Konkurs. Sie konnte sich nicht halten, die Mediaagenturen schalteten die überlebensnotwendigen Anzeigen nicht. Das notorische Dreiecksverhältnis von Modefotografie, Kunst und Kommerz hat in Deutschland keinen Sexappeal. Brigitte ist das Resultat. Modefotografie, die aus den hiesigen Bedingungen ausbricht, konnte immer nur als Kunst überleben, fern jedem Kommerz, paradoxerweise gesponsert von einem sozialistischen Regime. Die Großverlage verdienen an den Lizenzausgaben von Elle, Harper's Bazaar oder Max, und die großen Aufsteiger unter den deutschen Modefotografen wie Wolfgang Tillmans, Ellen von Unwerth, Jürgen Teller oder Peter Lindbergh leben in London, Paris oder New York. Lediglich Stilisten wie Hans Hansen, Rainer Leitzgen, Ivo von Renner oder Jo van den Berg können von Deutschland aus operieren.

Diesen Hintergrund zeigt die Ausstellung nur unter der Hand. Denn sie will die präsentierten Modefotografien als autonome, künstlerische Bildereignisse vorstellen. Daß ihr mit der vernachlässigten kommerziellen auch die kreative Geschichte der Modefotografie abhanden kommt, scheint nicht bemerkt worden zu sein. Da ließ selbst Robert Altmans Modefilmfarce tiefer blicken. Konkurrenz bringt die Chefredakteurinnen und die Art-Direktoren auf die Beine, dem Konsumenten – Dank sei den teueren Supermodels, die alles verkaufen – die experimentellen Bildideen anzudrehen. Und Ehrgeiz läßt sie hoffen, als erste den vielversprechenden Newcomer zu lancieren. Doch von dieser Kritik abgesehen, beglückt F.C. Gundlach, selber Modefotograf und Sammler, die BesucherInnen tatsächlich mit exquisit ausgesuchten Bildern, die – ebenso bedachtsam gerahmt, daund gehängt – das Hinschauen lohnen. Dem alleinseligmachenden kulturgeschichtlichen Blickwinkel verdankt es diese Sparte der Fotografie immerhin, erstmals Thema einer seriösen Retrospektive aus deutscher Sicht geworden zu sein.

So entfaltet sich auch eine durchaus sinnfällige Abfolge der Moden und Bilder. Nach 1945 reagieren Regina Relang, Charlotte Rohrbach und Willy Maywald auf die kriegszerstörte Umwelt in einem lebenszugewandten Mode- Optimismus. Die Ruinen bleiben außen vor. Das Model in einem Pariser Straßencafé zeigt ehemals gewohnten urbanen Flair. Die Zukunft, auf die sie setzten, kam ziemlich schnell und gewaltig.

Die fünfziger Jahre zeigen bei Hubs Flöter, Norbert Leonard und Herbert Tobias neben Traumobjekten wie Auto und Fernseher auch wieder neonleuchtenden Glamour in den Straßen der Großstadt. Die sechziger Jahre gehören „Twen“; bei Will McBride einer unbeschwerten Jugend und eigenwilligen jungen Frauen; bei Charlotte March der exotischen Faszination schwarzer Erotik. Ihre Rückenansicht von „Trevor“ läßt an Robert Mapplethorpes schwarze Macho-Ikonen denken. F.C. Gundlach nimmt Op-art-Mode mit auf Reisen und postiert die Models in die klassischen Kunststätten Ägyptens und Griechenlands.

Anfang der siebziger Jahre geht eine nackte, rundliche Dicke mit einem Sonnenschirm in die Hocke: Christian von Alvenslebens „Sonnenschein“ wird der Hit schlechthin, wer die Zeit erlebt hat, wird sich sofort erinnern. Ähnlich wird es vielen mit Gerhard Vormwalds „Fliegendem Neger“ gehen.

Vor dem Stilwillen werden alle gleich

Gegen Ende des Jahrzehnts spielt Helmut Newton in Berlin mit Nazi-Ästhetik der Sorte „Cabaret“. Chris von Wangenheim mit seinen modischen S/M-Spielen hätte da auch reingepaßt, ist aber nicht vertreten. Die Fetischisierung, mit der er und Newton dem Fetisch Mode tautologisch zusetzten, verfolgen Jacques Schumacher in den achtziger Jahren und Ellen von Unwerth in den neunziger Jahren weiter. Da sind die Bild- und Modesprachen schon recht unübersichtlich. Mit Ute Mahler, Robin, Ulrike Schamoni und Sibylle Bergemann dominiert die Zeitschrift Sibylle die (Ausstellungs-)Szene. Innovative Modebilder kommen außerdem von den Modestrecken der Wochenmagazine der großen Zeitungen. Ansonsten sind es „i-D“ und die Werbekampagnen der Modefirmen selbst, in denen mit Standards der Modeinszenierung gebrochen wird. Bei Jürgen Teller und Wolfgang Tillmans dürfen die Models alt oder häßlich sein; Mann und Frau agieren gleichberechtigt, und sie sind austauschbar. Über den dokumentarischen Schein triumphiert der Stil des Bildes. Er macht alles und jeden unvergleichlich gleich.

„Bildermoden – Modebilder“ entstand im Rahmen der Ausstellungsserie „Fotografie in Deutschland von 1850 bis heute“, die Wulf Herzogenrath Anfang der achtziger Jahre für das Institut für Auslandsbeziehungen konzipierte. Erfreulich am 15. Projekt dieser Serie ist das Mitwirken der Kunstbibliothek, das sie mit einem ihrer neueren Erwerbungsschwerpunkte begründet.

Mit dem Ankauf zeitgenössischer künstlerischer Modefotografie ergänzt sie ihre umfangreiche, aber wenig bekannte fotografische Sammlung ebenso wie den Bestand der 1899 integrierten „Lipperheideschen Kostümbibliothek“, der weltweit bedeutendsten Spezialsammlung zur Kostümgeschichte, mit Grafiken und Buchbeständen, die bis ins 15. Jahrhundert reichen.

„Bildermode – Modebilder. Deutsche Modefotografien 1945-1995“. Bis zum 1. Oktober. Kunstbibliothek, Matthäikirchplatz 4 (Tiergarten), Katalog 30 DM.