■ Kohl will Bürgerbeauftragten für Opfer des DDR-Unrechts
: Tante Bärbels Sprechstunde

So geht es „Wortführern“ gelegentlich: Irgendwann haben sie nichts mehr zu sagen, niemand fühlt sich von ihnen vertreten, das Fernsehen hat keine Lust mehr auf sie. So ist es Bärbel Bohley und

ihren Freunden ergangen, bevor sie sich in der vergangenen Woche zum Kaffeklatsch mit dem Kanzler trafen.

Während andere Bürgerrechtler längst Widerstand gegen die neuen Ungerechtigkeiten – etwa der Treuhandanstalt oder der Sozialpolitik – zu leisten versuchten, stilisierten sich Bohley, Templin und Co. zu den letzten Heroen im Kampf gegen Stasi- und SED- Unrecht.

Nun aber soll alles anders werden. Gemeinsam mit dem Kanzler, so gibt Wolfgang Templin jetzt in der FAZ bekannt, habe man darüber nachgedacht, einen Bürgerbeauftragten für Opfer von SED-Unrecht zu berufen. Tante Bärbels Sprechstunde soll aber auch als Anlaufstelle für „Problemfälle der inneren Einheit“ dienen. Darunter sind solche Leute zu verstehen, die sich durch „individuelle Schwierigkeiten im Einheitsprozeß ein weiteres Mal benachteiligt fühlten“ und so in den „Sog der PDS-Demagogie“ geraten seien. Damit ist die Katze aus dem Sack.

Das Unrecht, das in den letzten fünf Jahren beispielsweise durch die unsinnige Eigentumsregelung des Einigungsvertrages entstanden ist, wird als bloßes Gefühl von Unrecht denunziert. Und all jene, die zwar gegen die DDR Widerstand leisteten, für die die Bundesrepublik jedoch keineswegs die schönste aller denkbaren Welten darstellt, werden unterderhand als PDS-Sympathisanten abgestempelt.

Zu Leuten, die so ein einfältiges Weltbild haben, kommt der Kanzler gern. Hier bietet sich ihm die einmalige Chance, die Legitimation für seine neue Bundesrepublik mit Großem Lauschangriff und weltweiten Bundeswehreinsätzen direkt aus der Bürgerrechtsbewegung der DDR zu holen. Statt roter Socken soll es in diesem Jahr der Ombudsmann sein. Dieser soll selbstverständlich aus den Reihen der Kaffeerunde kommen – als Kanzlerstützpunkt in Prenzlauer Berg. Da wird die Wut und Verbitterung ehemaliger Mitstreiter der Helden über die dreiste Vereinnahmung durch das „Gespräch des Kanzlers mit den ehemaligen Bürgerbewegungen“ verständlich.

Aber immerhin war Bärbel mal wieder im Fernsehen. Wolfram Kempe

Schriftsteller und Journalist, lebt in Berlin. Er war bei der Zeitschrift der Bürgerbewegung („Die Andere“) Redakteur und Mitbesetzer der Stasi-Zentrale 1990 in Berlin.