Sarajevo träumt schon vom Strandurlaub

Jubel in der bosnischen Hauptstadt über die Luftangriffe der Nato auf serbische Stellungen  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Dobro Nato – die Nato ist gut“, ruft der Soldat und spreizt zwei Finger zum Siegesgruß. Hier, am letzten Kontrollpunkt vor dem beschwerlichen Aufstieg zum Berg Igman, über den die Straße nach Sarajevo führt, lauschen bosnische Soldaten, Autofahrer und Bewohner der anliegenden Häuser gemeinsam den Nachrichten über die Militäraktion der Nato. Als sie vom neuesten Angriff auf die Serbenhochburg Pale erfahren, werfen sie vor Freude die Arme hoch. „Endlich hat die internationale Gemeinschaft eingegriffen“, jubelt ein Offizier. „Wir haben schon gar nicht mehr daran geglaubt.“ Und lächelnd fertigt er einige Lastwagen der Schnellen Eingreiftruppe ab, die mit Nachschub auf den Berg Igman fahren.

Vor einigen Tagen noch hatten solche Transporte Schwierigkeiten, überhaupt durchzukommen. „Vor dem Angriff der Nato hatten wir Stunden gewartet, bis wir endlich abgefertigt wurden. Die Bosnier haben uns richtig schikaniert“, erklärt ein französischer Soldat, der einen der schweren Lastwagen lenkt. Langsam setzen sich die Fahrzeuge in Bewegung, durchqueren ein Dorf, um dann den steilen Anstieg hin zum Paß hochzuschnaufen. Schon nach wenigen Kilometern sind die ersten Stellungen der Eingreiftruppe erreicht. Ihre Kanonen zielen auf den Ort Hadzici, wo nach wie vor serbische Stellungen vermutet werden.

An diesem Tag ist hier alles ruhig geblieben. „Vor zweiunddreißig Stunden haben wir mit dieser Haubitze sechs Mal pro Minute gefeuert“, berichtet ein holländischer Soldat stolz. Von den Stellungen der 1.600 Soldaten der Schnellen Eingreiftruppe auf dem Berg Igman – 1.100 Franzosen, 400 Briten und 100 Niederländer – wurden bis zum Mittwoch nachmittag tausend Geschosse auf 34 serbische Stellungen rund um die Stadt Sarajevo abgefeuert. „Unsere Aktion war sehr erfolgreich“, erklärt der französische General Soubirou. „Es war eine kombinierte Aktion unserer Artillerie und der Nato-Luftwaffe.“ Die Serben seien nicht in der Lage gewesen, eine Antwort zu finden.

Es ist ruhig geworden auf der Igman-Route. Auch an dem gefürchteten Abstieg, wo steile Serpentinen sich hinunter in den Ort Hrasnica winden, scheint es jetzt nicht mehr gefährlich zu sein. Zwar warnen bosnische Soldaten noch vor Heckenschützen, doch die serbische Artillerie ist zum Schweigen gebracht. In dem Hrasnica vorgelagerten Ort Butmir grüßen Jugendliche voller Freude: „Bald ist Sarajevo befreit.“ Auf den umliegenden Höhen, dort wo die Stellungen der serbischen Belagerer angegriffen worden sind, steigen noch dünne Rauchfäden in den Himmel.

Noch ist Sarajevo nicht befreit. Die Einkesselung besteht fort: Noch immer müssen einheimische Bosnier sich durch einen 1993 gegrabenen provisorischen 700 Meter langen Tunnel unter das Flughafengelände quälen, um in die Stadt und wieder heraus zu gelangen. Ausländern dagegen ist es erlaubt, den wegen der Heckenschützen nicht ganz ungefährlichen ebenerdigen Weg über den Flughafen zu fahren. Mürrische UNO-Soldaten prüfen akribisch die Papiere der humanitären Helfer und Journalisten bevor sie die Schranke nach Sarajevo öffnen. Der Nato-Angriff hat an diesen Prozeduren nichts geändert.

Dennoch sind Freunde und Bekannte in Sarajevo vor Freude aus dem Häuschen. Sie klagen nicht mehr über die Beschwernisse des Lebens. Seit mehreren Monaten fließt kein Wasser mehr, sind Strom und Gas abgeschaltet. Manchmal hätten sie für fünf Tage, für kurze Zeit Elektrizität, erzählen sie. Wasser müßten sie wie zu Beginn des Krieges von den Wasserstellen in Kanistern holen. „Aber bald ist das ja vorbei, der Krieg ist doch bald zu Ende“, meinen die meisten. Und manche träumen schon, machen Pläne für die lang ersehnte Fahrt ans Meer.

Der Weg zurück führt wieder über das Hauptquartier der Schnellen Eingreiftruppe auf den Berg Igman. Der drahtige kommandierende General Soubirou läßt keinen Zweifel an der Begrenztheit der eigenen Aktion. „Wir haben den Auftrag, die Integrität der UNO-Schutzzone Sarajevo zu sichern. Diesen Auftrag werden wir erfüllen.“ Spekulationen über die Art der politischen Lösung könne er nicht anstellen – das sei Sache der Politiker. „Diese Aktion wurde nicht zum Vorteil einer Kriegspartei unternommen“, erklärt der General.

Aus dem Autoradio dringen die Berichte über die Verhandlungen in Belgrad. US-Unterhändler Holbrooke soll erfolgreiche Gespräche mit dem serbischen Präsidenten Milošević geführt haben. Cemo J., ein Ingenieur, der jetzt Offizier bei der bosnischen Armee ist und nach Zentralbosnien mitfahren will, wird unruhig. Die Nato-Aktion sei gut. Aber: „Wenn sie die Teilung Bosniens erzwingen wollen, und somit Karadžić und Mladić retten, können wir nicht einverstanden sein.“