Japan riskiert Streit mit China

Atomtests im Pazifik erweisen sich als unterschätzte Herausforderung für die japanische Außenpolitik, die sich entscheidend verändert  ■ Aus Tokio Georg Blume

Wenn es bei Weltwirtschaftsgipfeln um Wachstumsraten und Entwicklungskredite geht, hat Japans Finanzminister Masayoshi Takemura oftmals als letzter das Wort. Doch gegen die französischen Atomtests im Pazifik ist selbst der vielleicht mächtigste Finanzminister der Welt machtlos. Takemura, zudem Chef der liberalen Sakigake-Partei, läßt sich das freilich kaum anmerken.

An der Spitze einer 20köpfigen Delegation des japanischen Parlaments nimmt der in Grundsatzdebatten stets hochengagierte Finanzminister heute an den Protestdemonstrationen gegen die Atomtests in Französisch-Polynesien teil. Höchstpersönlich werde er in Tahiti eine Protestresolution verlesen, berichtete Takemura vor seiner Abreise. Mit dieser werde er zwar nicht im Namen der Regierung, aber doch im Namen „der allermeisten Japaner“ auftreten, versicherte er.

Zuvor hatte das japanische Kabinett noch darüber gestritten, ob es Takemura die Reise nach Tahiti nicht besser untersagen solle. Am Ende aber entschied man sich, ihn fahren zu lassen. Für Japan ist das ein nie dagewesener Vorgang: Der ranghöchste Minister fährt ins Ausland demonstrieren. Schon rätseln japanische Beobachter, ob sich hinter dieser Reise tatsächlich ein grundsätzlicher Wandel der japanischen Außenpolitik vollzieht.

Wie immer wurden die japanischen Proteste gegen die beiden erfolgten chinesischen Atomtests und die geplanten französischen Tests von der Weltöffentlichkeit bisher kaum zur Kenntnis genommen. Im fünfzigsten Jahr nach den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki lag der Verdacht nahe, daß es sich um bloße Routinebotschaften aus Tokio handelte. Tatsächlich hatte die Zeitung Yomiuri erst im Mai aus unlängst einsehbaren US-Archiven erfahren, daß japanische Premierminister ihre regelmäßigen Proteste gegen amerikanische Atomtests in den 50er und 60er Jahren unterderhand als „reine Protokollangelegenheit“ bezeichnet hatten. Mit ihrer Kritik an Washington hatten sie es danach offenbar nie besonders ernst gemeint. Genauso scheinheilig erschien bis vor kurzem die japanische Atomkritik an China – dem Land, an das Japan im Jahr über 2 Milliarden Mark Entwicklungskredite zahlt.

Diese versteckten Spielregeln der japanischen Außenpolitik erscheinen heute freilich überholt: In dieser Woche entschied die Regierung in Tokio, die Entwicklungshilfe an China wenngleich nicht drastisch, so doch merklich zu kürzen. 100 Millionen Mark direkter Hilfen werden in diesem Jahr nicht wie vorgesehen ins Reich der Mitte fließen.

Darüber hinaus aber stehen die sehr viel höheren Yen- Kredite zur Disposition. Die liberal-konservative Opposition und mehere Zeitungen, darunter das führende Wirtschaftsblatt Japans, Nihon Keizai, fordern bereits ihre Zurückstellung. Es erscheint durchaus denkbar, daß die Regierung dem öffentlichen Druck nachgibt und auch hier Kürzungen vornimmt.

Auf dem empfindlichen Terrain der japanisch-chinesischen Beziehungen könnten solche Entscheidungen wie Bomben einschlagen. Schon in dieser Woche kritisierte das Pekinger Außenministerium die japanische Entwicklungshilfekürzung als „äußerst schädlich“ für die bilateralen Beziehungen und verwies Japan auf die nötige Zurückhaltung im fünfzigsten Jahr nach Kriegsende. Dabei gibt es kaum Hoffnung auf eine rasche Überbrückung der Meinungsunterschiede.

Japan steht womöglich vor der wichtigsten außenpolitischen Herausforderung seit Ende des Kalten Kriegs: Entweder hält das Land an seiner merkantilistischen Tradition fest und vermeidet wie bisher jeden Streit mit den Großmächten, oder es setzt sich eigene außenpolitische Prioritäten. Eine solche Wende erscheint vor allem deshalb nicht mehr ausgeschlossen, weil sich Japans politische Landschaft seit dem Ende der liberaldemokratischen Einparteienherrschaft im rasenden Wandel befindet und alle Parteien verzweifelt um populäre Themen ringen.

Ein Geradestehen vor Chinas Großmachtgelüsten und die Verurteilung der Atomtests aber bringen den Politikern Punkte. „Irgend etwas muß unternommen werden, damit die Chinesen verstehen, daß sie nicht das Zentrum, sondern Teil der Welt sind“, schimpfte kürzlich ein Beamter des Tokioter Verteidigungsministeriums. Hinter solchen Worten, die in Japan den Zeitgeist treffen, versteckt sich ein auch neues außenpolitisches Selbstbewußtsein. Finanzminister Takemura demonstriert in Tahiti mit mächtiger Rückendeckung.