■ Ökolumne
: Videoverkehr Von Christian Rath

Eine Computermesse nach der anderen, Gerhard Steiner ist am Rande des Nervenzusammenbruchs. Wer ist Gerhard Steiner? Ein Mann der Zukunft, einer, der es begriffen hat. Die Software ist alles, nach Windows 95 kam Steiners Talk 97. Das System für Videokonferenzen ist der Messeerfolg des Jahres 1997. JournalistInnen – das große „I“ wird automatisch eingefügt – gieren danach. Sie wollen unbedingt den Virtual-reality-Helm auf dem Kopf haben. Er gibt ihnen das Gefühl, als säßen sie mit ihren GesprächspartnerInnen in New York und Tokio im selben Raum. Das ist nicht nur total abgefahren, es ist vor allem pc, nämlich politisch korrekt. Auch Joseph Fischer ist dafür, Greenpeace läßt nur noch Siemens, nicht mehr Nixdorf boykottieren, und der BUND sieht das Weltklima praktisch schon außer Gefahr. Denn wir reisen nicht mehr mit allerlei Kohlendioxidschleudern umher, wir surfen nur noch digital.

Ein Jahr zuvor – 1996 – hatte Helmut Kohl nach einem Korruptionsfall abgedankt. Dem neuen Vizekanzler Joseph Fischer (der aber doch nur Umweltminister geworden ist) war es gelungen, in der High-Tech- Politik eigene Akzente zu setzen. Und dies, obwohl Kanzler Lafontaine (der „lachende Dritte“) die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zum Dreh- und Angelpunkt seiner Regierungspolitik erklärte. Der Deal: Die Ökopartei verzichtet auf einen breiter angelegten ökologisch-sozialen Umbau – dafür werden im Gegenzug die ökologischen Potentiale der boomenden Telekommunikation voll ausgereizt.

„Verkehrsvermeidung durch virtuellen Verkehr, das ist unsere Marketingstrategie“: So hatte Steiner den rotgrünen Tele-Konsens in Bargeld übersetzt. Die zwei Milliarden Werbetat waren gut eingesetzt. Das Wort „Videoverkehr“ hat Sex-Appeal und Ökotouch zugleich. „Viele Geschäftsreisen werden überflüssig. Arbeitsplätze können endlich ins heimische Studierzimmer verlagert werden. Der tägliche Berufspendelverkehr wird wirksam reduziert“ – Steiner kann das alles im Schlaf dahersagen.

Hört ihm noch einer zu? Schon vor zehn Jahren ist davon geredet worden. Das weiß natürlich auch Steiner. Aber: „Noch nie war ein Ferngespräch so hautnah und persönlich wie heute.“

Und ökonomisch läuft die Idee auch recht gut. Aus Fischers Ministerium kommen jetzt Zuschüsse für den Video-Talk, die Steiners AktionärInnen zwei Halbjahresdividenden sichern. Privat fährt Steiner nur Solarrad, das versteht sich von selbst. Aber warum sind die Straßen immer noch verstopft mit Millionen von Dreiliterautos? Und warum steigen die Aktien der Fluglinien an der Börse schon wieder im Kurs?

Manchmal abends im Virtuality-Café beschleicht den Steiner deshalb eine böse Ahnung. Er fühlt sich dann alt, steinalt sogar. Seine teuer bezahlten ManagerInnen bestehen auf Dienstreisen und geben im Urlaub das ganze Geld für die Malediven aus. Letztes Jahr mußte es unbedingt Moruroa-real sein. Blaue Lagune, von Greenpeace ständig überwacht, die Ostsee kannste daneben einfach vergessen. Ist viel zu gefährlich.

Und seine KundInnen – kann jemand dieses „I“ ausschalten? Nein? Geht nicht! Die ArbeitgeberInnen also, die das System kaufen, scheinen die Einrichtung eines Tele-Heimarbeitsplatzes eher als Privileg für besonders vertrauenswürdige MitarbeiterInnen zu betrachten. Und schließlich die Gewerkschaften, die der modernen Heimarbeit nur zustimmen wollen, wenn ein Teil der Arbeitszeit doch noch im Betrieb zu leisten ist. Dafür stehen die sogar zweimal am Tag freiwillig im Realitätsstau.

In solchen Momenten möchte Steiner in das nächste Flugzeug steigen und ganz weit wegfliegen. Er darf nicht, weil er auf dem Hotelbildschirm einen Terminkalender hat. Dort steht, daß er morgen in Peking die nächste Telekom-Messe eröffnen soll. Natürlich muß er nicht hinfahren. Denn dafür gibt es ja Talk 97. Eigentlich muß er nur noch das Programm einschalten, daß er selbst entwickeln ließ ...

Aber, das ist nun mal empirisch erwiesen, im persönlichen Kontakt verkauft sich ein Produkt doch immer noch am besten. Steiner holt die internationalen Flugpläne auf den Schirm. Egal was es kostet, er muß hinfliegen.