Eine seltsame Allianz von Kruzifix-Gegnern

■ Dubioser „Bund gegen Anpassung“ schmückt sich mit dem erfolgreichen Kläger Ernst Seler und blockt unliebsame Nachfragen ab / Pressekonferenz abgebrochen

Ernst Seler ist kein Mann, der gern im Rampenlicht steht. Das Blitzlichtgewitter der Fotografen irritiert den 45jährigen sichtlich. „Rücken Sie mir nicht so auf die Pelle“, raunt er bei der Pressekonferenz im Regensburger Ibis-Hotel. Seit seiner erfolgreichen Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen das in bayerischen Schulen vorgeschriebene Kruzifix findet der Anhänger der Lehre Rudolf Steiners keine Ruhe mehr. Manche schreiben ihm böse Briefe oder Morddrohungen, andere versuchen, sich mit dem aufrechten Kämpfer zu schmücken.

Der „Bund gegen Anpassung“ (BGA) hat dies dringend nötig. In so mancher Universität sind seine Anhänger mit Auftrittsverbot belegt. Der BGA, der sich als antiklerikal versteht, wird oft als psycho- faschistoide Sekte abgelehnt. Der dubiose Bund aus Freiburg hatte zu einer Pressekonferenz mit dem Ehepaar Seler geladen – und die Medienvertreter kamen in Scharen. Peter Priskil, Mitherausgeber der im BGA-eigenen Ahriman- Verlag erscheinenden „Ketzerbriefe – Flaschenpost für unangepaßte Gedanken“, reibt sich zufrieden die Hände. „Wir sind die einzige Zeitschrift die seit 1989 kontinuierlich über die Verfolgung der Familie Seler berichtet hat“, betont er gebetsmühlengleich, um seine Organisation ins rechte Licht zu rücken. Priskil betrachtet den Erfolg Selers in Karlsruhe nur als Etappensieg. „Unser Ziel ist die strikte Trennung von Kirche und Staat.“

Das jedoch geht Ernst Seler zu weit. „Kein Gipfelkreuz ist in Gefahr“, stellt er klar. Ihm gehe es darum, daß seine Kinder nicht länger der „suggestiven Langzeitprägung durch die Christusleiche“ ausgesetzt sind. Seler bestreitet die Pressekonferenz mit Zitaten von Rudolf Steiner und legt Wert darauf, daß Steiner nicht, wie vielfach in der Presse wiedergegeben, ein Antichrist sei. Schließlich schicke die bayerische Kultusstaatssekretärin Monika Hohlmeier ihre Tochter doch auch auf eine Waldorfschule. Über den umstrittenen Gastgeber der Pressekonferenz weiß Seler „nichts Näheres“. „Der Bund gegen Anpassung hat mich eingeladen, und ich habe die Gelegenheit wahrgenommen.“

Der BGA-Mann Priskil kann die Wissenslücken füllen. „Wir sind Atheisten und keine Anthroposophen“, stellt er klar, „aber wir kämpfen für die Meinungsfreiheit von allen verfolgten Minderheiten.“ In den „Ketzerbriefen“ werden so „verfolgte Minderheiten“ wie die rechtsextremen „Republikaner“ gegen die „Lügenpresse“ verteidigt. Der ehemalige Parteichef Schönhuber darf sich in einem „Exklusivinterview“ auf 15 Seiten ausbreiten. Ob solcher Inhalte leicht irritiert, fragt eine Journalistin, ob der BGA denn „wirklich linksgerichtet“ sei. „Selbstverständlich“, betont Priskil, man sei schließlich aus der Ende der 70er gegründeten „Marxistisch-Reichistischen Initiative“ entstanden. Geflissentlich verschweigt er, daß seine Organisation in der Vergangenheit Spontis und Autonome als „verhinderte Faschisten“ und „anal defekt“ bezeichnet und neben einer Aids-Reihenuntersuchung auch eine Zwangstätowierung von Infizierten gefordert hat.

Nachdem sich die Nachfragen der JournalistInnen zusehends auf die Person Selers und die versuchte Psychiatrisierung des Kruzifix- Klägers konzentrieren, sieht Priskil seine Felle davonschwimmen. „Ich lasse jetzt nur noch Fragen ad rem und nicht mehr ad personam zu.“ Die Person Seler ist beim Kampf des BGA gegen das „Indoktrinationsprivileg der Großkirchen“ augenscheinlich Nebensache. „Jetzt werde ich aber etwas strenger“, versucht der selbsternannte Streiter „für Meinungsfreiheit und unangepaßte Gedanken“ entsprechende Fragen abzublocken. Ein Teil der Medienvertreter steht daraufhin empört auf und geht, die Pressekonferenz ist beendet. Und Ernst Seler? Der bleibt verdutzt sitzen und wartet vergeblich auf weitere Fragen. Bernd Siegler