Die Ausstellung im Überblick

An nichts sollte es im Jubeljahr mangeln. Der Katalog zur Ausstellung Berlin-Moskau wiegt noch ein paar Kilo mehr als der zur „Paris-Moskau“- Schau vor einigen Jahren. Veranstaltungen aus Film, Theater, Literatur und Musik erstrecken sich endlos durch alle hauptstädtischen Magazine. Allein im September werden 70 Konzerte geboten, die von der russischen Romantik bis zu Schostakowitschs Revolution-Symphonien reichen. In der Philharmonie werden Nächte mit Werken von Michail Glinka und Arthur Lourié gegeben, der sich vom Futurismus kommend für die Oktoberrevolution engagierte und 1918 zum Musikkommissar im Kulturministerium ernannt wurde. Ebenfalls auf dem Programm stehen bereits am Sonntag Modest Mussorgskys fantastische „Lieder und Tänze des Todes“. Mehrere Abende widmen sich Rimsky-Korsakow, für dessen „Mozart und Salieri“ an der Komischen Oper Harry Kupfer Regie führt. Und wem die Tradition näher ist als das experimentelle Gesamtkunstwerk – am 24. September gastiert mit dem Chor der Mönche des Russischen Patriarchats Moskau“ das christlich-orthodoxe Gegenmodell zum Chor der sowjetischen Armee.

Auch auf dem Theater finden sich neben Maxim Gorkis „Kinder der Sonne“ vor allem musikalisch-szenische Fassungen etwa des Romans „Die toten Seelen“ von Nikolai Gogol oder Alexander Borodins „Fürst Igor“. Den Abschluß der Theaterreihe bildet mit Tony Kushners „Slawen“ ein Stück, das sich in Trauerarbeit am Zusammenbruch der Sowjetunion versucht, um schließlich den Obersten Sowjet im Rollstuhl über die Bühne rasen zu lassen, als käme er aus der Rocky Horror Picture Show.

Das literarische Programm steht zwar unter dem kalauerhaften Motto „Der rote Faden der Avantgarde“. Tatsächlich werden bei Lesungen im Deutschen Theater vorrangig Zeugnisse über die Beziehungen zwischen deutschen und russischen Schriftstellern vorgetragen, die von den Reiseberichten Lion Feuchtwangers und Walter Benjamins „Moskauer Tagebuch“ bis zum Exil unter Stalin reichen. Selbst Klaus Mann, kaum ein Anhänger des Marxismus, war bei seinem Moskau-Aufenthalt so sehr von der Neuordnung begeistert, daß er über die Kritiker des Sozialismus schrieb, ihr Meckern würde im „Lärm des Aufbaus“ untergehen.

Diese Begeisterung spiegelt sich in der Berlin-Moskau-Ausstellung im Museums-Flagschiff Martin-Gropius-Bau wider. Von Daniel Libeskind mit überdimensionalen Trennwänden in der Art El Lissitzkyscher Konstruktionen inszeniert, dominiert weniger die Bildende Kunst als der Blick ins Archiv. Moskauer und Berliner Musik-, Film- oder Architekturdokumente liegen in Vitrinen aufgeblättert, Arnold Schönbergs „12-Ton-Reihenschieber für Variationen für Orchester“ findet sich neben Standbildern des Dokumentarfilmers Dsiga Wertow, wunderbar präzisen Reportagefotos von Alexander Rodtschenko oder einem Gedicht von Bertolt Brecht, das er nach der Verhaftung Tretjakows schrieb. In „Das Volk ist unfehlbar“ kommen ihm Zweifel am Willen der Partei, denn „die Unschuldigen haben keine Beweise“. Trotz dieser Erkenntnis hat Brecht noch ein „oft“ in den Satz gefügt. Das Gedicht wurde erst posthum veröffentlicht. Harald Fricke