Ach, ohne Schröder fehlt ihm was

■ Scharping nach Fraktionsklausur wieder gewohnt öde

Bonn (taz) – Die Journalisten drängten sich gestern zur Pressekonferenz im Sitzungssaal der SPD. Schließlich hat Parteichef Rudolf Scharping erst vor einem Tag mit einem kräftigen Paukenschlag Gerhard Schröder als wirtschaftspolitischem Sprecher den Laufpaß gegeben. Doch am Freitag gab's schon wieder „business as usual“. Weit holte er aus und erzählt von der Klausurtagung der Fraktion. Themen: der Weg in die Informationsgesellschaft, Fragen des Sozialstaates, die europäische Integration und die ökologische Modernisierung der Gesellschaft.

Von sich aus erwähnte Scharping den Gegenspieler mit keinem Wort. Nur die Art und Weise, mit der er immer wieder betonte, wie sehr und wodurch sich die SPD in ökologischen Fragen von anderen Parteien unterscheide, verriet, daß er auf Schröder immer noch sauer ist: „Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, was die SPD will und wo sie sich von anderen Parteien unterscheidet“, sagt er und fährt fort, das SPD-Konzept für den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft zu erklären. Kernziel: Mit der Erhöhung der Energiepreise sollen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und mittelfristig die Lohn- und Einkommenssteuer gesenkt werden. „Weg von Arbeitskosten hin zu Umweltkosten“ ist das Motto, mit dem die SPD die „wirtschaftspolitischen Primitivstrategien der Regierung“ kontern wolle.

Zu den Ausagen des Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau (SPD), der gegenüber dpa die wirtschaftspolitischen Thesen von Schröder präzisiert hatte, wollte Scharping nichts sagen: „Ich kenne diese Äußerungen noch nicht.“ Voscherau hatte gesagt: „Wettbewerb, Arbeitsplätze oder rote Zahlen sind weder sozialdemokratisch noch konservativ.“ Deshalb habe „Wirtschaftspolitik heute keine Parteifarbe“, sie sei „gut oder schlecht, richtig oder falsch, modern oder unmodern“.

Wer soll denn nun neuer wirtschaftspolitischer Sprecher werden? Scharping nennt keine Namen. „Das Machtzentrum sind die gewählten Gremien“, betont er. Wer zum jeweiligen Thema spreche, „wird je nach Projekt entschieden“. Und wer soll die Energiekonsensgespräche auf seiten der SPD führen? „Das entscheiden wir, wenn es soweit ist.“

Während man in Bonn schon wieder über Inhalte der SPD-Politik diskutierte, wurde von der niedersächsischen Staatskanzlei in Hannover mitgeteilt, „viele Bürger“ hätten Schröder Solidarität und Sympathie bewiesen. In der Bonner SPD-Fraktion ist davon nicht viel zu spüren. Das SPD-Präsidiumsmitglied Wolfgang Thierse spricht wohl für die meisten Genossen, wenn er sagt, daß der Rausschmiß Schröders „eine Befreiung“ für die Sozialdemokratie sei. Öffentlich will niemand Scharpings Entscheidung kritisieren. Selbst im konservativen Seeheimer Kreis, der zunehmend mit dem zum Freund der Wirtschaft gewandelten Schröder sympathisiert, gibt es keine einhellige Ablehnung von Scharpings Entscheidung. Karin Nink