Wenn die Seele außen liegt

■ Musik aus dem Bauch und aus dem Schlauch heraus: die Laienszene im Bremer „Institut für Ton, Klang und Rhythmik“

„Beim Singen liegt die Seele ganz außen“, sagt Anja Hass. Bei ihr dürfen LaiInnen Erfahrungen mit der eigenen Stimme machen, dürfen ihre Lieblingslieder singen, „viele wollen auch Opern-Arien“. In jedem Fall führt ein solcher Kurs zu einer höchst intensiven Selbsterfahrung: „Viele heulen auch los, und deswegen kann ich einen Kurs gar nicht länger als drei Monate durchhalten“. Anja Hass ist eine von neun KursleiterInnen des Bremer Institutes für Ton, Klang und Rhythmik, das jetzt, im fünften Jahr seiner Existenz, über neue Räume verfügt. Gestern stellte man alles bei einem tönenden Fest vor.

In den Räumen in der Findorffstraße soll sich endlich das abspielen, was nach der Satzung der Stiftung die Idee ist: daß Menschen ohne Vorkenntnisse mit den künstlerischen Ausdrucksmitteln in direkte Berührung kommen, daß sie sich über Instrument, Stimme und Rhythmik ausdrücken können. Die Schauspielerin und Regisseurin Claudia Scholl z.B. arbeitet mit den TeilnehmerInnen in einem Kurs für „Gedichte und Prosa“. Gefragt nach dem Unterschied von „vorher“ und „nachher“ erzählt der nette ältere Herr, der spannend seine Seeräuberballade in schönstem Platt rezitiert: „Wir haben eben geleiert, wir hatten in der Schule Angst vor den Mädchen, die über unsere Emotionen beim Rezitieren lachen. Hier habe ich gelernt, das mit dem richtigen Atem in den Griff zu kriegen“.

Reinhard Schimmelpfeng, längst bekannt als hochqualifizierter Obertonsänger, leitet einen entsprechenden Kurs. Kann man so etwas überhaupt in einem Kurs wirklich lernen? „Das kann in drei Minuten gehen. Meist haben vorgebildete Leute, am schlimmsten Opernsänger, die größten Probleme“. Das liege einmal an unserem Musikverständnis, nach dem wir Töne eigentlich nur in Verbindung mit anderen kennen – im Gegensatz zum asiatischen Musikverständnis, in dem ein einziger Ton ein ganzes Universum bildet. Das liege zum anderen an der stimmtechnischen Verbildung. Obertonsingen bedeutet, die natürlichen Obertöne, die jeder Ton hat, über die Atemzufuhr und die Resonanzbildung durch eine bestimmte Mundformung freizusetzen.

Reinhard Schimmelpfeng sammelt Oberton-Instrumente aus aller Welt. Auf dem Fest spielte er zusammen mit Harry Fajuta in einer aufregenden Session das Kultinstrument Digeridoo. Wie man dem aus Australien stammenden Eukalyptusrohr seine geheimnisvollen dunklen Klänge entlockt, auch das kann man hier lernen. Erst einmal wird allerdings im Baumarkt ein Schlauch gekauft und mit einem Mundstück versehen, später dann dürfen die TeilnehmerInnen auch an die wertvollen Instrumente.

Selber machen ist auch die Devise für die Kurse Märchenerzählen, Improvisieren, Musik und Traum, Klangfarbe und Farbklänge, Rhythmik, und andere. Den eigenen Ausdruck finden können auch oder gerade Laien. Denn genau dieses fehlt bei der hochqualifizierten Instrumentalausbildung, wie wir sie heute an den Musikhochschulen haben – so die Klage von Festredner Helmuth Schaarschmidt von Radio Bremen.

Die finanzielle (und geistige) Basis des Institutes ist eine Stiftung, und es war der ganzen Atmosphäre anzumerken, wieviel höchst persönlicher Einsatz dahinter steht: von der anwesenden Stifterin Margot Franzius, über die Leiterin Irmgard Böning, deren Idee das Institut unter anderem ist, bis zu den hoch motivierten KursleiterInnen: „Menschen zur Musik zu bringen, das Ohr als Weg zum Selbst zu entdecken“, daß das aktuell und nicht nur esoterisch ist in einer Zeit, in der die Medien übermächtig werden, zeigt die ständig wachsende Nachfrage nach den Kursen des Institutes. Ute Schalz-Laurenze