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Starte und bete

■ Bremen rüstet sich für den Ansturm auf „Windows 95“ – mit Pappregalen, Aufklebern und guten Ratschlägen

Sind die Butterbrote schon geschmiert, die Thermosflaschen gut gefüllt? Liegen die Schlafsäcke parat? Das wird eine Nacht – die Nacht vor „Windows 95“. Sicher hält die umsichtige Stadtgemeinde Bremen einen Sonderzeltplatz in der City bereit, nahe den zentralen Elektronikfachgeschäften. Damit die Massen morgen früh, wenn Vobis, Saturn-Hansa und Brinkmann ihre Pforten öffnen, sogleich hineinstürmen können, ihre Not zu lindern. Durch „Windows 95“. Halt so ein neues Betriebssystem für Personal Computer, könnte ein Ungläubiger jetzt sagen. Ein neues Wundermittel, sagt aber die gläubige PC-Gemeinde, die nun – den salbungsvollen Werbebotschaften des Herstellers Microsoft folgend – schon seit Monaten dem heutigen Deutschland-Verkaufsstart entgegenfiebert. Wie? Keiner fiebert? Kein Sonderschlafplatz weit und breit? Ja, ja, die Bremer ...

Die üben sich halt in hanseatischer Bescheidenheit, komme, was da mag. Dem PR-Rummel, den die „Windows“-Premiere beim US-Start vor zwei Wochen entfachte, hält z.B. die Vobis-Filiale in der City einen schlichten Pappständer entgegen. Viel mehr ist nicht an Werbung. Im Ständer sollen ab morgen die Disketten für das neue System liegen. „Willkommen in der Neuen Welt“, steht auf dem Pappständer drauf. So neu ist die Windows-95-Welt zwar nicht, sagen die Verkäufer; aber dazu später.

Was gibt es noch außer einem Pappständer? Aha: Ein kluger Verleger bringt bereits das Handbuch zum Handbuch heraus: „Windows 95 enthüllt“. Außerdem prangt ein Aufkleber an der Ladentüre. "Achten Sie bei allen PCs auf dieses Zeichen“, auf das fesche Firmenfähnchen von Microsoft nämlich, gefolgt von dem Hinweis „Designed for Windows 95“. Der Text schließt: „Denn ohne abgestimmte Hardware ist das neue Betriebssystem nur die Hälfte wert“.

Das wäre dann schon der ganze Werbeaufwand, den andere Läden sogar gekonnt unterbieten. Dabei hatten die cleveren Microsoft-Strategen den Einzelhandel doch so vorzüglich informiert und präpariert. Seit April, jammert ein Herr bei Brinkmann, „werden wir überschüttet“. Broschüren, Handbücher, Info-Updates und natürlich Vorab-Versionen des neuen Systems, zum reinschnüffeln und süchtigmachen. Aber, ach!, bei Brinkmann & Co. gibt man sich kühl. Wozu die Aufregung? Lieber „erstmal die ersten, richtigen Testergebnisse abwarten“, assistieren die Bremer Vobis-Kollegen.

Denn schon aus den Redaktionsstuben der überregionalen Tageszeitungen meldete man kurz nach dem US-Start vor allem Bedenken gegen das neue System an. „Eine Art hübscher Altbausanierung“, fand „Die Woche“; dicht gefolgt von der „Zeit“-Konkurrenz: Windows 95 sei die „Fassadenrenovierung einer Software, die bei allem Markterfolg kaum mehr den heutigen Bedürfnissen entsprochen hat“.

Denn was „Windows 95“ kann, können andere Betriebssysteme – OS/2 und Apple-Macintosh – schon lange. Was uns morgen früh aus dem Häuschen bringen soll, ist z.B. die Möglichkeit, mehrere Dateiordner gleichzeitig einzusehen, ganz ohne Systemabsturz. Oder die ans Phantastische grenzende Option, künftig mehr als acht Buchstaben beim Benamsen von Dateien verwenden zu dürfen. Statt „HZRCHN93.TXT“ darf der Brief an die Stadtwerke nun wieder in voller Schönheit „Heizungsrechnung1993.TXT“ heißen. Auch gibt es einen elektronischen Papierkorb, in den man die Rechnung irgendwann mal per Mausklick reinpfeffern, aber auch wieder rausnehmen kann, wenn's die falsche war. Kiek mol an. Dafür lohnt sich das Frühaufstehen doch.

Was der Fachhandel wirklich lobt, ist allein jene Wunderfunktion, die Microsoft unter dem flotten Titel „plug & play“ verkauft. Damit werden Extras wie das Faxmodem und das CD-ROM-Laufwerk nun „automatisch erkannt“ und somit sofort benutzbar, ohne umständliche Zwischenschritte – eben: „plug & play“, einfach einstöpseln und spielen. Bzw. hoffen, daß es diesmal wirklich so funktioniert, wie die Werbung verspricht. Denn als der Slogan erfunden wurde, zu Zeiten älterer Windows-Versionen, da rumpelte es noch ordentlich in der Kiste – „plug & pray“, spottete die Konkurrenz: einstöpseln und beten.

So verspricht „Windows 95“ nichts Geringeres, als daß es endlich wirklich funktioniert, ohne Abstürze, ohne größere Umstände. „Die einizige Firma, die glaubt, die Welt wird morgen nicht mehr sein wie früher, ist Microsoft“, sagt selbst die Pressechefin bei Vobis. Für den größten deutschen Computervertrieb ist der Deutschland-Start vor allem eine Frage der Organsation. Am Wochenende rollten einige Sonder-Lastwagen mit der Wunderladung durch die Lande. Falls bei den Deutschen doch noch das PC-Fieber ausbricht, „haben wir auf jeden Fall Nachschub“. Die Zahlen sind umwerfend: In der Bremer City-Filiale will man „20 bis 30 Stück“ auf Lager halten. Auch nicht mehr als beim Start des Konkrrenzproduktes OS/2 im vorletzten Jahr. „Wie kurz vorm Schlußverkauf bei Harrods in London “ werde es schon nicht werden, ahnt die Vobis-Pressedame.

Bleibt noch die Sache mit dem „Designed for Windows 95“-Zeichen zu klären, ohne welches manches nur noch die Hälfte wert sei. Was, wenn die alte Kiste und die alte Software nicht das neue Gütesiegel trägt? Tjaaa ... Da holen die Fachverkäufer tief Luft. Eigentlich müßten die meisten Programme schon noch laufen. Der Herr bei Brinkmann schätzt über den Daumen, daß höchstens „fünf, sechs Jahre alte Software“ vom neuen Betriebssystem verschmäht werde. Eine Einschränkung muß er aber dann doch machen. Das bis dato als unverwüstlich geltende „Tetris“, jenes olle Computerspiel von nahezu archaischer Anmut, das uns so manch faden Büronachmittag versüßt hat – es läuft nicht mehr so recht. Mit einem Trick geht's dann aber doch; den erfahren wir dann pünktlich zur ersten Update-Version „Windows 2000“. tw

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