Abschiebung aus sicherem Drittstaat

■ Wie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion drei ArmenierInnen rechtswidrig aus Deutschland über Polen nach Weißrußland abgeschoben wurden – immer beobachtet von ChristInnen aus Wildeshausen

Polen ist kein sicheres Drittland. Das belegt die Odyssee der drei ArmenierInnen, die am 23.8. in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus der Abschiebehaft Vechta nach Polen abgeschoben wurden (s.taz vom 30.8.). Ohne auch nur die geringste Chance erhalten zu haben, dort einen Asylantrag zu stellen, wurden die Flüchtlinge in Polen in Haft genommen, um dann direkt nach Weißrußland weitergeschleust zu werden.

Gemeinsam mit ihren Familien waren die drei ArmenierInnen im Februar über Polen in die Bundesrepublik eingereist. Ihr Asylantrag wurde mit der Begründung abgelehnt, sie seien über ein sicheres Drittland, nämlich Polen, eingereist. Aus Angst, über Polen nach Armenien abgeschoben zu werden, wo die Männer für den Krieg gegen Aserbeidschan zwangsrekrutiert und in die erste Reihe gestellt werden würden, flüchteten sie schließlich im Juni zu Verwandten nach Wildeshausen, wo sie von der evangelisch-lutherischen Gemeinde ins Kirchenasyl aufgenommen wurden. Die Kirchengemeinde aber scheiterte mit ihrem Versuch, den Aufenthalt der ArmenierInnen zu legalisieren. Als Pastor Bernd Passarge, auf die Wirkung verfahrensrechtlicher Anträge hoffend, die Flüchtlinge aufs Bundesamt begleitete, wurden drei von acht Mitgliedern der Großfamilie in Abschiebehaft genommen.

Die Behörden verwiesen lapidar auf die Möglichkeit, die ArmenierInnen könnten einen Asylantrag in Polen stellen. Polen habe sich in einem Abkommen mit Deutschland zu einer Rücknahme von Flüchtlingen verpflichtet, sofern diese im Laufe eines halben Jahres nach Polen zurückgeschickt werden. Daher sei, argumentierten Bundesamt und Bezirksregierug, die Rückführung nicht etwa nach Armenien, wohl aber nach Polen unausweichlich.

Die Kirchengemeinde, die inzwischen von mehreren Fällen erfahren hatte, in denen Polen den RückkehrerInnen aus Deutschland die Möglichkeit verwehrt hatte, einen Asylantrag zu stellen, mißtraute den Voraussagen der Behörden. Als die Gemeinde am 22.8. von der geplanten Abschiebung erfuhr, entschloß sie sich erneut zum Handeln: Zwei Gruppen postierten sich in der kommenden Nacht vor der JVA Vechta, eine weitere Gruppe von fünf Gemeindemitgliedern, darunter ein Rechtsanwalt und Journalist, fuhr zum polnischen Grenzübergang Guben. Ziel der Aktion war es, die Flüchlinge zu begleiten und dafür zu sorgen, daß diese ihren Asylantrag auf polnischem Gebiet würden stellen können.

Um zwei Uhr nachts sollte nach Behördenplan die Abschiebung in Vechta beginnen. Als die Kirchenmitglieder vor der JVA eintrafen, Kerzen aufstellten und mit einem Plakat gegen die Abschiebung demonstrierten, sagte ihnen ein Beamter, es hätte keinen Sinn zu warten, die Flüchtlinge seien bereits weg. Gegen 2.30 Uhr fuhr ein roter Golf mit Oldenburger Kennzeichen vor und passierte das Gefängnistor, das sich eine halbe Stunde später wieder öffnete. Die Kirchenleute erkannten die beiden armenischen Männer, bevor das Auto „in rasender Fahrt auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigte“. Die Gemeindemitglieder nahmen die Verfolgung auf, doch der Golf bog pötzlich in einen kleinen kurvenreiche Weg hinter dem Krankenhaus ab und schüttelte in Filmmanier seine Verfolger ab. Ähnlich ging es der zweiten Gruppe vor dem Frauengefängnis. Dort war Leila A. von einem dunklen Audi abgeholt worden.

Die dritte Gruppe aus Wildeshausen erreichte den Grenzübergang Guben gegen etwa 6 Uhr morgens. Kurz nach zehn Uhr näherte sich ein Polizeitransporter mit Oldenburger Kennzeichen, der jenseits der Grenze die Flüchtlinge in einem Gebäude des Grenzschutzes ablud. Der Versuch des Anwalts, hier einen Asylantrag für die Flüchtlinge zu stellen, scheiterte. Ein fensterloser Transporter brachte die ArmenierInnen anschließend in ein nur wenige Kilometer entferntes, abseits gelegenes Polizeigebäude, das von bewaffneten Polizeibeamten gesichert wurde. Von dort ging die Fahrt weiter ins gut 30 Kilometer entfernte Krosno.

Die ArmenierInnen seien eingetroffen, bestätigte ein Grenzschützer im Gespräch am Zaun. Sie würden am Freitag in die Ukraine gebracht, da sie von dort nach Polen gekommen seien. Der Einwand der BeobachterInnen, Deutschland schicke seine Flüchtling ins Drittland Polen zurück, damit dort ein Asylantrag gestellt wird, löste bei dem Beamten Erstaunen aus. Nachdem er sich an höherer Stelle telefonisch erkundigt hatte, sagte er, ein Asylantrag sei nicht möglich, die Armenier würden zurückgeschickt. Ein Besuch der Deutschen im Gefängnis wurde abgelehnt, lediglich ein kurzer Brief wurde von den Beamten weitergeleitet.

Die BeobachterInnen fuhren resigniert nach Hause. Am 25.8. meldeten sich die Flüchtlinge telefonisch aus dem weißrussischen Brest. Sie waren von einer Armenierin, der sie zufällig auf dem Bahnhof von Brest begegnet waren, aufgenommen worden. Sie seien frei, aber völlig mittellos, da ihnen die polnischen Beamten sämtliche Habseligkeiten, auch das Geld, abgenommen hatten. „Ich kann nicht sagen, wie man uns dort gequält hat“, sagte eine Frau am Telefon. Man drohte ihnen mit Gefängnis und behob Schwächeanfälle der Flüchtlinge mit Spritzen, um sie wieder reisetauglich zu machen.

Die Kirchengemeinde organisierte sofort einen Transfer von Kleidern und Geld. Zur Zeit halten sie sich bei Freunden in Rußland auf, wo sie offensichtlich vorerst bleiben können, hofft Pastor Bernd Passarge. Sofort nach seiner Rücckehr aus Polen forderte er den Regierungspräsidenten Greifelt auf, eine Rückübernahme-Erklärung abzugeben, da Polen nachweislich kein sicheres Drittland sei. Greifelt aber signalisierte Unwillen. Den Behörden, resumiert Passarge, sei das Schicksal der Flüchtlinge erkennbar gleichgültig. „Hauptsache ist, daß die Ausländer deportiert werden.“

Im niedersächsischen Innenministerium setzt man auf Unwissenheit. Von solcherlei Kettenabschiebungen habe man noch nicht gehört, versicherte Ausländerreferent Friedhelm Meier gegenüber der taz. Bundesgrenzschützer hätten wohl mitgeteilt, daß Flüchtlinge in Einzelfällen weitertransportiert wurden. Da aber sei klar gewesen, daß diese keinen Asylantrag gestellt hätten. Das zu tun aber, beweisen die Beobachtungen der Wildeshausener, hatten jedenfalls die ArmenierInnen auch nicht die Spur einer Chance. Der Rechtsanwalt der ArmenierInnen kündigte jetzt eine Eingabe beim Bundesverfassungsgericht an. Dora Hartmann