Kleinigkeiten keine Kleinigkeit

Der Saisonauftakt gegen Finnland (1:5) zeigt DEB-Trainer Kingston, daß das deutsche Eishockey noch jede Menge Lektionen braucht  ■ Aus Berlin Peter Unfried

Als in den letzten Zügen des sterbenden Spiels noch zack, zack zwei finnische Tore fielen, stand er an der Bande, unbewegt scheinbar, nur daß er noch eifriger auf seinem Zettel herumkritzelte als zuvor. Später hat George Kingston (56) verbindlich gelächelt, wie es seine Art ist. Hat den einen gelobt und den anderen auch. Um den euphemistischen Code zu knacken, müßte man bisweilen beinah' eine linguistische Untersuchung in Auftrag geben. Jedenfalls sind die Finnen der amtierende Weltmeister, und so hat der Bundestrainer aus diesen Tests zum Saisonauftakt, dem samstäglichen 1:5 in Hohenschönhausen wie dem gestrigen Spiel in Chemnitz „einige große Lektionen mitgenommen“.

Die erste Lektion: „Man muß in jeder Phase des Spiels defensiv spielen.“ Ist ja schließlich kein Zufall, daß Assistent Kühnhackl die Offense coacht, der kanadische Weltmeistertrainer (von 1994) während des Spiels die Abwehrreihen überwacht. Spiele, die engen auf WM-Niveau sowieso, entscheiden Torhüter und die Fähigkeit, sechzig Minuten bei höchstem Tempo keine oder kaum Fehler zu machen. Bei den Keepern aber fängt's schon an. Auch am Samstag hat der Berliner Klaus Merk zwar nicht schlecht gehalten, aber halt auch nicht entscheidend gut. „Ich denke, wir haben ihm nicht die nötige Unterstützung gegeben“, heißt das bei Kingston. Stimmt auch. Die Finnen andererseits, mit einigem Nachwuchs da, spielten bestimmt nicht besonders weltmeisterlich. „Wie ein Orchester, das verschiedene Melodien spielt“, nannte deren Trainer Curt Lindström das. Aber, lobte Kingston, „they do the kleinigkeiten for the team“. Kleinigkeiten, das sind technische, taktische, läuferische Fähigkeiten, die sich in entscheidenden Situationen so lange addierten, bis das Tor halt fiel. „Es ist“, sagt Kingston und schnippte es mit dem Finger vor: „Paß, Paß, Paß, Paß – und die Bewegung ist immer dabei.“ Was zur Folge hatte, daß die Deutschen reagierten und schließlich damit so in Verzug gerieten, daß ein Finne entscheidend frei stand. Das, wie Kingston auf seinen Zettel notierte, „bei allen fünf Toren“.

Es sind dies grundsätzliche Probleme, Defizite, die so schnell, so einfach nicht abzustellen sind. Drum kann der Trainer bei der ständig wiederkehrenden Frage, wie er das zu ändern gedenke, stets nur auf den langen, den harten Weg verweisen, von der einen Kleinigkeit zur nächsten. Zum einen hat nun begonnen, was Pressesprecher Knospe mit „eine neue Ära“ übersetzt, Kingston aber nur „ein ambitionierteres Programm für Deutschland“ nennt (siehe Kasten).

Der Job besteht aus Kompromissen. So hat er dieses Wochenende nur jeweils drei Spieler von einem Klub testen dürfen. Hatte zur Folge , daß eigentlich noch unverzichtbare Alt-Kräfte wegblieben. Auch nicht tragisch, durften andere ran. Sven Felski (20) etwa von den Berliner Eisbären. Der gilt als verhältnismäßig sehr talentierter Außenstürmer und durfte zusammen mit dem noch etwas hoffnungsvolleren Mannheimer Jochen Hecht (18) und dem bewährten Malocher Jürgen Rumrich probieren. Und den Unterschied kennenlernen. „Nicht wie im Club offensiv sein“, durfte er, nur „so gut wie möglich defensiv spielen“. Das, sagt Felski, „ist ganz schön hart“. Aber es kann sich lohnen: Die Sturmreihe war „plus eins“. Rumrich hatte, wenn auch etwas zufällig, das einzige Tor des Tages geschossen. Noch wichtiger, sie war bei keinem Gegentor auf dem Eis gestanden, das hat Kingston sehr gefallen, das zeigt den Willen zur Arbeit.

Es ist alles eine Frage des Tempos. Die DEL, sagt Kingston, habe das zwar, im Vergleich zur Bundesliga, beschleunigt. Das ist gut. Schlecht für ihn ist, daß sie ihr Niveau hauptsächlich jenen Kräften schuldet, denen nichts fehlt außer dem deutschen Paß. Am nun eingeführten dritten Ausländer leidet Kingston. 41 Prozent der 409 DEL- Spieler sind im Ausland geboren, zu den offiziellen 54 kommen noch 114 eingebürgerte. Nun hat die Liga eben selbst gehörige Probleme. Die Streitereien der letzten Monate haben Sponsoren verschreckt – und die auswärtigen Fachkräfte sind dringender denn je nötig, von diesem Freitag an hallenfüllendes Spektakel zu bieten.

Wer kucken muß, daß der Gerichtsvollzieher draußen vor der Tür bleibt, schert sich wenig um die Frage, ob demnächst nach der Slowakei auch Weißrußland, Lettland oder Kasachstan die A-Gruppenzugehörigkeit des deutschen Teams gefährden. Klar ist: Das Hoch der Bukac-Zeit ist Geschichte, wird auch historisch relativiert als „leichte Welle nach oben“ (Mannschaftsbetreuer Franz Reindl), vom WM-Halbfinale, dem man in Prag 1992 und München 1993 nahe war, ist man so weit weg wie in der Zeit davor.

„Es ist eine harte Sache zu lernen“, sagt Kingston, „aber nur die Erfahrung bringt uns weiter.“ Zu befürchten ist: Auch in des Kanadiers zweitem Jahr haben die Lektionen erst angefangen. Kingstons Kleinigkeiten zu erlernen wird keine Kleinigkeit sein. Der Mann wird noch einiges auf seinen Zettel kritzeln müssen.