■ In der Sache unterscheiden sie sich kaum, doch im Gegensatz zum geschaßten Gerhard Schröder verkörpert der nordrhein-westfälische Wirtschafts-und Verkehrsminister, Wolfgang Clement, sozialdemokratische Wirtschaftspolitik.
: "Identitätsstift

taz: Der von Scharping als wirtschaftspolitischer Sprecher abgesetzte niedersächsiche Ministerpräsident Schröder hat sich den Zorn der Partei mit seiner Bemerkung, es gehe nicht mehr um sozialdemokratische oder konservative Wirtschaftspolitik, sondern nur noch um moderne oder unmoderne, zugezogen. Sehen Sie das nicht ähnlich?

Clement: Es ist Aufgabe sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik, für zukunftsfähige Arbeitsplätze zu sorgen, und das sind solche, die auch den ökologischen Anforderungen gerecht werden. Das geht nur gut, wenn die ökologischen Aspekte, wo nötig, bereits in den Produktionsprozeß einbezogen werden. In bezug auf diesen Ansatz unterscheiden sich konservative und sozialdemokratische Politikkonzepte ganz erheblich. Das gilt ebenso etwa in Fragen der Mitbestimmung.

In der praktischen Politik sind die Unterschiede kaum wahrnehmbar. Als ein Feld zur Stiftung sozialdemokratischer Identität eignet sich die Wirtschaftspolitik offenbar nicht mehr.

Das sehe ich anders. Es geht für uns darum, politisch alles zu tun, um die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu erleichtern und bestehende zu sichern. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, daß sich dieser Prozeß sozial so gerecht wie möglich vollzieht. Das sind die Vorgaben, die ich als identitätsstiftend für die SPD ansehe.

Herr Schröder hat mit seinen Amtskollegen aus Bayern und Baden-Württemberg und den deutschen Autoherstellern einen „Autogipfel“ veranstaltet. Die drei Ministerpräsidenten haben sich dabei gegen Tempolimits und Benzinpreiserhöhungen ausgesprochen. Im Gegenzug gab es Versprechungen zur Beschäftigungssicherung und zum Bau eines Drei-Liter-Diesels. Ein paar Tage später haben Sie Ford und Opel zum „Minigipfel“ geladen. Unterschiede waren kaum wahrnehmbar.

Bei dem Treffen mit den Vorstandsvorsitzenden von Ford und Opel war es zunächst einmal wichtig, deutlich zu machen, daß deutsch-amerikanische Unternehmen hier nicht ausgegrenzt werden. In der Sache ist zwischen meinen Gesprächspartnern keine Verbindung hergestellt worden zwischen der Zukunft der Automobilindustrie und der Frage des Tempolimits. Ich würde aber unterstellen, daß meine Gesprächspartner in diesem Punkt der gleichen Meinung sind wie die Unternehmensleiter von Mercedes oder BMW. Wir haben zudem deutlich gemacht, daß die bis zum Jahr 2005 zugesagte Verbrauchsreduzierung um mindestens 25 Prozent in den Flotten aller Automobilhersteller in Deutschland noch wichtiger ist als ein symbolisches Drei-Liter- Dieselauto.

Schröders Gipfelbotschaft an die Autohersteller war: Wir sind eure Lobby...

...Und ich habe den beiden Vorstandsvorsitzenden deutlich zu machen versucht, daß wir ihre Standorte in NRW so gut wie irgend möglich unterstützen werden und wir uns als ihre Lobbyisten insoweit betätigen, daß wir eine Ausgrenzung ihrer Unternehmen nicht hinnehmen.

Versprechungen, sich gegen Tempolimits oder Benzinsteuererhöhungen zu verwenden, gibt es von Ihnen nicht?.

Nein, wir haben statt dessen über die konkrete Situation an den Standorten gesprochen und nicht über die allgemeine Politik.

Sie haben in diesen Tagen ein wirtschafts- und verkehrspolitisches Konzept vorgestellt, das sich deutlich abhebt von der rot- grünen Koalitionsvereinbarung.

Nein, überhaupt nicht. Es gibt keine Äußerung von mir, mit der ich gegen Geist oder Inhalt der Koalitionsvereinbarungen verstoßen hätte. Die Irritation in einigen Medien rührt allein daher, daß über die Koalition Vorurteile bestehen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. Und jetzt wundern sich einige darüber, daß wir unsere kooperative Wirtschaftspolitik fortsetzen. In der Sache gibt es nur beim Braunkohletagebau Garzweiler II einen wirklichen Dissens zwischen den Koalitionspartnern, und ich hoffe, daß dieser Dissens im Laufe unserer gemeinsamen Arbeit überwunden werden kann.

Sie haben gerade wieder erklärt, Garzweiler II werde wie geplant ab 2006 aufgeschlossen. Die grüne Umweltministerin Höhn verkündete daraufhin das genaue Gegenteil. Ein Ausweis von Berechenbarkeit bietet dieser Streit gewiß nicht.

Der Braunkohleplan ist genehmigt, und er entfaltet seine rechtlichen Wirkungen. Wenn man sich an Recht und Gesetz hält und keine Politik der Nadelstiche betreibt – und dazu haben sich beide Partner verpflichtet –, dann sind diese rechtlichen Wirkungen politisch gar nicht zu beeinflussen.

In dem Koalitionsvertrag steht, daß Umsiedlungen vor Rechtskraft des genehmigten Rahmenbetriebsplans nicht stattfinden und niemand gegen seinen Willen zur Aufgabe von Grundstücken gezwungen werden soll. Im Falle von Klagen würde dadurch der geplante Abbau auf jeden Fall erheblich verzögert – wenn nicht verhindert. Ein Sprecher der Betreibergesellschaft Rheinbraun hat diese Formulierung als „K.-o.-Bedingung für Garzweiler II“ bezeichnet. Auch die Grünen setzen auf diesen Passus.

Ich amüsiere mich schon seit einiger Zeit über die gleichförmigen Interpretationen dieser Passage durch die Grünen und einzelne Vertreter von Rheinbraun. Tatsache ist, es hat noch nie erzwungene Umsiedlungen im rheinischen Braunkohlerevier gegeben. Die Menschen haben sich immer mit dem Unternehmen geeinigt und sind freiwillig umgezogen. Ich gehe deshalb davon aus, daß diese Formulierung in der Praxis keine Bedeutung haben wird.

Es gibt doch klare Bekenntnisse von Anwohnern und Kirchenvertretern, die Grundstücke nicht freiwillig herauszugeben.

Die meisten sind zur Einigung bereit. Warten wir es ab.

Dann sind also alle Hoffnungen der Grünen auf Sand gebaut?

Die wichtigste Frage ist doch die nach dem Energiebedarf. Der nähern wir uns von zwei Seiten. Einerseits wollen wir alles uns mögliche tun, den Energiebedarf zu reduzieren und den Einsatz von Alternativenergien zu forcieren. Andererseits wollen wir keine Atomenergie und nicht noch mehr Importkohle, sondern den Strom durch heimische Kohle erzeugen. Die Grünen glauben, man könne durch umsteuern soviel Strom sparen oder alternativ erzeugen, daß man Garzweiler II gar nicht braucht. Ich halte diese Annahme für die überschaubare Zeit für falsch und werde durch die uns bekannten Prognosen bestärkt.

Die Grünen stehen nicht allein. Das landeseigene Wuppertaler Klima-Institut stützt ihre Argumentation, auch viele Sozialdemokraten halten das Projekt für überflüssig. Ihr stellvertretender Landesvorsitzende, Christoph Zöpel, hat sich erst jüngst wieder in einem Brief an den SPD-Landesvorstand in diesem Sinne geäußert.

Ich kenne die Ansicht von Herrn Zöpel seit langem, ich respektiere sie natürlich, aber ich teile sie nicht, und die Mehrheit der NRW-SPD tut das auch nicht. Auch im Wuppertaler Institut ist bekannt, daß mit erneuerbaren Energien und Energiesparmaßnahmen allein unser Energiebedarf nicht so gesichert werden könnte, daß wir auf Atomstrom und Kohle verzichten könnten.

Ihre Thesen zur Verkehrspolitik haben für einen neuen Dissens gesorgt. Haben die Grünen sich schon beschwert?

Nein, welchen Dissens meinen Sie?

Der von Ihnen propagierte Autobahnausbau. Davon steht nichts im Koalitionsvertrag.

Eben. Also habe ich ihn wohl auch nicht verletzt. Der Ausbau der bestehenden Autobahnen A1 / A 2 / A 3 auf sechs Spuren findet doch schon Zug um Zug statt und ist nicht strittig.

Sie wollen auch über den verabredeten Stopp einiger Umgehungsstraßen in Regionalkonferenzen neu verhandeln. Auch damit verstoßen Sie gegen den Vertrag.

Nein! Ich kenne den Koalitionsvertrag sehr genau und ich werde nichts tun, was diesem Vertrag widerspricht. Sollte ich aber feststellen, daß wir Dinge beschlossen haben, die so nicht vernünftig sind, dann werde ich mit den Grünen Gespräche darüber führen. Aber ich werde nichts tun, was zu Lasten der Koalitionsvereinbarung geht.

Heißt das, der verabredete Stopp von Straßenbauprojekten gilt, es sei denn, beide Partner einigten sich auf eine andere Lösung?

Ja, selbstverständlich.

Es gab in den 70er Jahren in Bonn einen sozialdemokratischen Verkehrsminister, Georg Leber, der mit seinem Versprechen, den Güterverkehr von den Straßen auf die Schiene bringen zu wollen, für Schlagzeilen sorgte. Das Gegenteil ist eingetroffen. Eine einzige LKW-Schlange verstopft inzwischen die Autobahnen. Auch die Zahl der PKWs hat immens zugenommen. Gegen diese Entwicklung hilft doch keine Verbrauchsreduzierung mehr, sondern es geht um Verkehrsvermeidung und -umlagerung auf die Schiene.

Das findet in NRW statt. Zunächst einmal: Wir sind unter den Flächenländern in bezug auf die Infrastruktur des Personennahverkehrs sicher am weitesten. Und dieser Kurs wird fortgesetzt. Durch Güterverteilzentren und zahlreiche weitere Maßnahmen versuchen wir gleichzeitig den Frachtverkehr von der Straße auf die Schiene oder die Wasserstraßen umzuleiten.

Auf überschaubare Zeit

läßt sich jedoch der

Frachtverkehr insgesamt

nicht von der Straße brin-

gen. Wenn es uns nur gelänge, die Zuwächse von der Straße zu bringen, wäre das schon eine gewaltige Leistung. Wirklich durchschlagende Erfolge wird man aber nur mit einer eigenen Schieneninfrastruktur für den Frachtverkehr erreichen können. Davon sind wir aber meilenweit entfernt, weil entsetzlich viel Zeit vertan und entsetzlich viel falsch gesteuert worden ist.

Wir haben in Deutschland in diesem Jahr eine Million mehr Fahrzeuge als im Vorjahr. Bis 2010 wird noch einmal ein Wachstum von 30 Prozent prognostiziert. Da sind doch radikale Schritte gefragt, zum Beispiel Verkehrsverbote und Benzinpreiserhöhungen.

Ich halte sehr viel davon, unsere gesamte wissenschaftliche Intelligenz und unser technologisches Können einzusetzen – Beispiel: Telematik, Beispiel: Fünf-Liter- Auto –, die Verkehrssysteme so gut wie irgend möglich miteinander zu vernetzen und nicht zuletzt auf die Einsicht von Menschen zu setzen und so zu Verhaltensänderungen zu kommen. Von immer mehr Vorschriften, von Verboten und Drohungen halte ich gar nichts.

Nur bei den Autofahrern ist die Politik so sanft. So ähnlich wurde jahrelang gegen die Anschnallpflicht argumentiert. Doch auch hier zeigte erst Druck Wirkung.

Ich habe auch von denen, die heute einen Benzinpreis von fünf Mark fordern, keinen einzigen, halbwegs überzeugenden Vorschlag gehört, wie eine solche Erhöhung in anderen Bereichen kompensiert werden könnte. Wie soll sich denn ein Arbeitnehmer aus den ländlichen Regionen anders bewegen, als mit dem Auto? Wenn ich ihn beim Autofahren so extrem belasten wollte, dann müßte damit eine gleich hohe Entlastung einhergehen. Solange diese Fragen nicht klar und für jeden – Arbeitnehmer wie Unternehmer – einsichtig beantwortet sind, werde ich einen Deubel tun und nicht verkünden, daß der Liter Benzin demnächst 5 Mark kosten soll.

Interview: Walter Jakobs